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So habe ich es mir nicht vorgestellt

So habe ich es mir nicht vorgestellt

Titel: So habe ich es mir nicht vorgestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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erinnern, woher sie dieses Gesicht kannte. Neugierig blickte sie mit ihren blauen Augen in das Auto, das vor dem Übergang stand. Die Ampel wechselte. Er fuhr nach links und hielt am Hang. »Nicht bis ans Haus«, meinte er mit einem leichten Lächeln. »Oder doch bis ans Haus?«
    »Hier ist es prima«, sagte Jo’ela. Die Straße war menschenleer.
    »Warum waren Sie denn einverstanden, mich zu treffen?« fragte Jo’el und machte den Motor aus.
    »Haben Sie schon was von Ambivalenz gehört?« erkundigte sich Jo’ela und öffnete den Verschluß des Sicherheitsgurts. »Über widersprüchliche Wünsche und so?«
    »Das Problem mit dir ist«, sagte Jo’el, beugte sich schnell zu ihr und legte den Arm um ihre Schulter, »daß du zuviel sprichst. Man muß dich für einen Moment zum Schweigen bringen.« Die Bewegung, mit der er sie an sich zog, hatte nichts Grobes, sondern war weich und sanft. Sehr langsam berührte er sie mit den Lippen, erst auf der Wange, nahe am Ohr, und dann auf dem Mund. Eine große Intimität, zusammen mit einem neuen Gefühl, registrierte ihr wacher Verstand, bevor er für einen Moment versank, nur für einen Moment, in Goldbraunem, Honiggoldenem, in einer warmen Süße, in dem Geruch von Stärke und Waschmittel, süßem Käse und Kaffee. Seine eine Hand lag fest um ihre Schulter, die andere an ihrem Hals. Hinter ihren geschlossenen Augen drehte sich die Welt, die Straße. In der Ferne hupte ein Auto. Jo’ela schob seinen Kopf von sich. »Es ist ernst«, flüsterte Jo’el und blickte ihr in die Augen. »Sehr ernst.«
    »Was ist ernst?« fragte Jo’ela mit einer fremden Stimme.
    »Was hier entsteht«, sagte Jo’el. Seine Hand glitt über ihren Arm, von unten nach oben. Diese Worte, ebenso wie der Anblick der Straße vor ihnen, das offene Tor bei einem der Häuser, brachten sie dazu, die Plastiktüte, die zwischen ihren Beinen stand, zu packen und die Autotür zu öffnen – ohne auf seine Hilfe zu warten: von außen, durch das offene Fenster –, auszusteigen und wegzulaufen. Sie wandte sich nicht um, auch nicht, als sie durch die Tür ging, sie schloß und im Garten stand, und erst im Haus, weit weg von den prüfenden Blicken Schulas, die die Bettwäsche wechselte, als sie den karierten Schottenrock anzog, erinnerte sie sich an den Umschlag. »Was sind das für Kleider?« fragte Schula erschrocken, als Jo’ela aus dem Badezimmer kam. »Sie sehen aus wie … wie eine Fromme … wie eine von denen, von dort.«
    »Das habe ich beabsichtigt«, sagte Jo’ela. »Jedenfalls so ungefähr.«

7. Und er in seiner Güte
     
    Am Rand des Bürgersteigs, nahe der Stelle, an der das Taxi hielt, stand das Holzgerippe eines breiten Sessels, aus dessen bloßgelegtem Inneren rostige Sprungfedern ragten, dazwischen hielten sich hartnäckig noch Reste geblümten Brokats. Im verschwommenen Licht des frühen Chamsinmorgens glänzte das verblichene Goldbraun im Blumenrelief. In einem solchen Sessel hatte Tante Frieda gesessen, mit der Tasse in der Hand, in die Onkel Schlojme aus der blauen Porzellankanne mit den weißen Schwänen Tee goß, und hatte mit abgespreiztem kleinem Finger deutsche Ausdrücke hervorgestoßen und damit ihre Geschichten über die besonderen Modelle gewürzt, die sie für Prinzessinnen nähte, extra ihretwegen kamen sie aus Jordanien, ganz abgesehen von den vornehmen Damen aus Tel Aviv, die sich nur auf sie verließen. Nach dem Kaffee und dem Tee, nach dem Apfelkuchen brachte Onkel Schlojme immer die großen Fotoalben an, mit einem rauhen Reliefeinband in Rot und Braun, die dunklen Seiten mit einem Stoffband zusammengehalten. Aus den runden, goldumrandeten Fenstern auf jedem Band blickte einen Tante Frieda an, in einem grauen Leinenkostüm, mit nachdenklichen hellen Augen unter den dünn gemalten Augenbrauen, darüber eine Haartolle, ähnlich der auf Jo’elas eigenen Babybildern, als sie nackt auf dem blauen Teppich fotografiert wurde, die Haare mit einer Klammer zu einer Tolle zusammengesteckt, die die glatte Stirn betonte. Am Schabbatnachmittag wurde sie immer schön angezogen, das rote Samtkleid im Winter, das Organzakleid im Sommer, um Tante Frieda zu besuchen, die noch nicht mal eine entfernte Verwandte war – doch das erfuhr Jo’ela erst, als die Jahre vergingen und der Sessel langsam ausblich, die deutschen Ausdrücke weniger wurden und polnische Sätze an ihre Stelle traten: sie beschrieben Bilder aus einer Zeit, die länger zurücklag als die der jordanischen Prinzessinnen und der

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