So habe ich es mir nicht vorgestellt
hingesetzt, einfach auf einen Stuhl, und gesagt: »Schneiden.« Aber aus seinen Augen, eng beieinanderstehend und braun, schossen gelbe Lichtstrahlen. Man konnte nicht sagen, es sei ein besonders hübsches Gesicht, schmal und mit einem spitzen, vorstehenden Kinn. Ein Gesicht ohne ein besonderes Detail, außer einem hellen Muttermal, das sie gestern nicht wahrgenommen hatte, auf der linken Wange, neben der geraden Nase. »Ich habe mich erkundigt, ich habe meine Hausaufgaben gemacht«, sagte er mit fröhlichem Stolz.
»Wo haben Sie sich erkundigt?« fragte sie verwirrt.
»Da und dort«, antwortete er lächelnd. Die junge Kellnerin brachte den Kaffee, das Wasser, auch den Käsekuchen und zwei Kuchengabeln. Er aß ein Stück, schmatzte, nahm ein weiteres Stück auf die Gabel und hielt es ihr hin. Ohne nachzudenken, beugte sie sich vor und öffnete den Mund. Während sie den Kuchen probierte, gab er wieder ein schmatzendes Geräusch von sich, wie man es bei einem Kind tut, und erst da
fiel ihr auf, daß sie, ohne zu zögern, von seiner Gabel gegessen hatte.
»Nur gute Sachen«, sagte er und schaute ihr in die Augen. »Stärke, Vernunft und Ehrgeiz, sehr viel Ehrgeiz, das hat auch Ihr Chef gesagt.« Er lächelte. »Aber keiner hat von Ihrer Angst in einem Verkehrsstau gesprochen oder von einer anderen Angst, die mir aufgefallen ist.«
Jo’ela schwieg.
»Aber Sie hatten natürlich keine Zeit, sich zu erkundigen«, sagte er enttäuscht.
»Ich hätte auch nicht gewußt, bei wem«, meinte sie.
»Sie werden sich auf Ihre Augen verlassen müssen«, sagte Jo’el und trank geräuschvoll einen Schluck Kaffee. »Was sagen Sie dazu?«
»Was sage ich wozu?«
»Zu uns.«
»Gibt es zu uns etwas zu sagen? Gibt es schon ein ›uns‹?« Sie versteckte ihr Erschrecken hinter einem gezwungenen Lächeln. »Ich muß gleich gehen«, fügte sie schnell hinzu. Ein paar Krümel des Käsekuchens versanken im Wasserglas. »Warum wollten Sie, daß … daß wir uns treffen?« Das hätte sie nicht fragen dürfen, er könnte vielleicht merken, wie sehr sie es sich gewünscht hatte. Solche Fragen führen zu Antworten, wie sie sie jetzt bekam.
»Ich wollte Sie kennenlernen, Sie haben mir gefallen, was ist daran so erstaunlich?«
Jo’ela schwieg. Wirklich, was war daran so erstaunlich, solche Dinge passierten tagtäglich, und daß es ihr bisher noch nie passiert war, hatte nichts zu bedeuten.
»Zeigen Sie mir Ihre Brille«, sagte er neugierig. Ohne zu fragen, nahm sie ihre Brille ab und legte sie vor ihn auf den Tisch. Er schaute durch die Gläser und erschrak. »Ihre Augen sind sehr schlecht!«
»Ich leide an Kurzsichtigkeit und Astigmatismus.«
»Lesen Sie im Dunkeln? Lesen Sie viel?«
»Früher, bis ich erwachsen wurde, habe ich sehr viel gelesen, wie … wie eine Betrunkene, eine Süchtige, trotz des Bibliothekars, der ekelhaft war und mir nicht zweimal am Tag Bücher geben wollte.«
Er seufzte. »Sie haben sich die Augen kaputtgemacht.«
»Blödsinn«, stieß Jo’ela aus, »ein Irrglaube. Schlechte Augen sind erblich.« Sie schwieg.
»An was haben Sie jetzt gedacht?« fragte Jo’el. »Ohne Ausrede, antworten Sie schnell, an was haben Sie gedacht?«
»An meine Mutter«, bekannte Jo’ela.
»Was ist mit Ihrer Mutter?«
»Ich habe daran gedacht, daß sie vermutlich weiß, wo ich bin.« Jo’ela lachte verschämt. Seit wann sagte sie solche Dinge, seit wann wurden ihr solche Fragen gestellt, so hartnäckig, in so einfacher Sprache, mit einer so gierigen Erwartung ihrer Antwort?
»Haben Sie Angst vor ihr?« wollte er wissen.
»Manchmal«, gab sie zu. »Sie weiß viel.«
»Auch von Ihnen hat man mir gesagt, daß Sie viel wissen«, sagte er befriedigt. »Sie errät Zusammenhänge, sie hat Intuition, hat der Professor gesagt, vielleicht vererbt sich so etwas auch, diese Art Wissen.«
»Ich muß gehen«, sagte Jo’ela. »Ich habe noch viel …«
»Warum haben Sie aufgehört zu lesen?«
»Ich habe nicht wirklich aufgehört, nur das Tempo hat nachgelassen.«
»Warum?«
»Ich weiß nicht … Vielleicht ist es natürlich so. Meine Tochter hat auch … Es ging nicht mehr, es mußte aufhören mit den Träumen, ich mußte etwas tun«, sagte sie nachdenklich.
»Was haben Sie in der Tüte?« fragte er und legte die Hand darauf, wie um den Inhalt zu erfühlen. Warum erschrak sie und zog die Plastiktüte schnell zu sich heran?
»Nur ein bißchen Zeug«, sagte sie, und während sie den letzten Schluck Kaffee nahm, verbot sie sich,
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