Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
So habe ich es mir nicht vorgestellt

So habe ich es mir nicht vorgestellt

Titel: So habe ich es mir nicht vorgestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
Vom Netzwerk:
dran? Onkel Schlojmes Pflegerin hat nach seinem Tod alles mitgenommen. Sie hat zu uns gesagt, er habe ihr die Sachen vererbt. Was hätte ich denn tun sollen? Ihre Aussage nachprüfen?«
    Es war ausgeschlossen, daß diese Holzstümpfe mit den Stoffetzen, die aussahen wie die schmutzigen Reste eines Polsterstoffes, einmal die Lehnen von Tante Friedas großem Sessel gewesen waren. Aber er stand da, vor der Tür eines Geschäfts für gebrauchte und antike Möbel, und jeder, der wollte, konnte ihn neu beziehen lassen, auch sie selbst, statt hier mitten auf dem Bürgersteig wie angewurzelt zu stehen und ihn anzustarren, während Männer in Mänteln und mit schwarzen Strümpfen an ihr vorbeieilten und schnell die Köpfe abwandten, trotz ihres karierten Faltenrocks und der bis zum Hals zugeknöpften Bluse und trotz des Mantels, den sie trug. Hinter dem Sessel, in dem dämmrigen Lagerraum, waren Teile anderer alter Möbelstücke zu sehen. Armlehnen, Beine, Reste von Sprungfedern, Kissen. Der Verkäufer schob beide Hände in seinen Hosengürtel, so daß die Fransen seines Gebetsschals zu sehen waren. »Interessieren Sie sich für antike Möbel?« fragte er und trat ein paar Schritte vorwärts. »Ich könnte Ihnen etwas zeigen. Drinnen im Laden habe ich ein paar ganz ausgefallene Stücke.«
    »Nein, danke«, sagte sie und senkte den Kopf, und plötzlich verschwand das kleine Lächeln unter dem schwarzen Bart, als habe der Mann verstanden, daß es vergeudet war. Aber so leicht schien er nicht aufgeben zu wollen, er sprach schnell weiter: »Haben Sie Möbel zu verkaufen? Vielleicht eine Erbschaft?« Und als sie den Kopf schüttelte und wiederum zu dem Gerippe des Sessels hinüberblickte, trat er noch einen Schritt näher und sagte leise: »Vielleicht wollen Sie ihn beziehen lassen? Man kann ein ausgezeichnetes Stück daraus machen. Solche Holzrahmen werden heute überhaupt nicht mehr hergestellt.«
    »Nein, nein, danke«, wehrte Jo’ela ab und entfernte sich mit großen Schritten. Auf der Straße hinauf nach Me’a Sche’arim, zwischen den Möbelgeschäften und den Stoffläden, standen ein Mann in einem blauen Regenmantel und zwei Frauen, eine von ihnen mit einem Rucksack auf dem Rücken, und hörten einem jungen Mann in hohen Schuhen und mit kurzen Hosen zu. Als sie näher kam, hörte sie ihn verkünden: »Zwei Minuten vom Stadtzentrum entfernt, und schon sind wir hundert Jahre zurückgegangen und befinden uns in einem jüdischen Schtetl in Polen.« Er deutete auf eine Betonmauer mit einer Tafel voller Ermahnungen an die Töchter Israels, auf züchtige Kleidung zu achten, ebenso eine Aufforderung, den Brauch des Sühneopfers zugunsten der Sozialküche nicht zu vergessen. Ein paar Leute schienen sich besonders für einen rosafarbenen Zettel in der Ecke der Tafel zu interessieren, die schwarz eingerahmte Mitteilung über Frau Hinde Friedman und den Verkauf einer enormen Menge heiliger Bücher. Der Rand der Mitteilung war abgerissen, um Platz zu schaffen für die Ankündigung eines Frauenkreises mit Rabbi Pinchas Schejnberg.
    Der Fremdenführer lachte laut, und die Frau, die neben ihm stand, streifte die Stoffträger ihres großen Rucksacks ab und stellte ihn an die Betonmauer, nicht weit von dem breiten, bogenförmigen Tor, von dem aus Stufen hinunter zur Straße führten. Jo’ela beobachtete eine Frau, die einen Kinderwagen die Treppe heraufzog. Das Kind wackelte in dem Wagen hin und her, während die Frau vor Anstrengung die Lippen fest zusammenpreßte. Mitten auf dem Weg, zwischen einer Stufe und der nächsten, drehte sie sich um, rückte sich mit einer Hand das bunte Kopftuch zurecht und zog an ihrem schwarzen, mit blauen Blumen übersäten Flanellkittel, den sie über einem braunen Wollkleid trug. Unförmige Holzschuhe machten ihre Schritte schwerfällig und klapperten laut. Jo’ela betrachtete den Kittel und überlegte, was die Frau wohl dazu gebracht haben konnte, sich einen solchen Kittel zu kaufen, Flanell, mit einem dünnen, satinähnlichen Blümchenstoff bezogen.
    Der Übergang war stufenlos, plötzlich, egal aus welcher Richtung man kam, von der Bar-Ilan-Straße oder der Straußstraße, es traf einen immer wie ein Schlag. Auf der einen Seite alte Kiefern, Kasuarinen und ein riesiger Ailanthus, auf der anderen Seite, hinter der Kreuzung, Reihen armseliger Läden mit Namen wie »Alles für das Kind« oder »Viel Glück«, Löcher, in denen man Kinderwagen kaufen konnte, und eine riesige Werbung, daß hier Federbetten

Weitere Kostenlose Bücher