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So habe ich es mir nicht vorgestellt

So habe ich es mir nicht vorgestellt

Titel: So habe ich es mir nicht vorgestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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Sie noch immer darauf, daß niemand zu Ihnen kommen soll?«)
    Nerja lächelte sie warm an. »Das ist doch typisch für dich, zufällig vorbeizukommen und hineinzugehen. Das ist dein Charakter.« Er legte ihr den Arm um die Schulter und zog sie näher zu sich und tippte ihr mit der anderen Hand auf die Nase. »Deshalb sind wir doch schon jahrelang Freunde, nicht wahr?«
    Sie nickte und blickte durch das runde Glasfenster in das Aufwachzimmer. Talia Levis Augen waren geschlossen. Sie lag auf dem Rücken und sah ganz ruhig aus, doch plötzlich krümmte sie den Rücken, und ihre Schultern zuckten.
    »Man hat sie nicht an den Kardiotokographen angeschlossen«, beschwerte sich Jo’ela. »Sie hatte keine Wehen, es gab keine Anzeichen, und alles fing mit einem normalen Fruchtwasserabgang an. Erst als die Blutung kam, wußte ich Bescheid. Wie hätte ich es vorher wissen sollen?«
    (»Ich fühle mich so seltsam«, hatte Talia Levi plötzlich gesagt, mit vor Anstrengung verzerrten Lippen, und fast erstaunt hinzugefügt: »Es tut weh! Es tut schrecklich weh!« Aber sie hatte nicht geschrien. In diesem Moment hätte Jo’ela stutzig werden müssen. Sie zog den Handschuh aus und legte die Hand auf den großen Bauch, der sich bewegte. »Leg deine Hand hierher und sag mir, was du fühlst«, forderte sie Lina auf. Lina gehorchte und zog ihre rechte Hand aus Talia Levis harten Griff. Die Haare des Mädchens, die in der letzten Nacht noch geglänzt hatten, waren strähnig und stumpf geworden, und die Kopfhaut schimmerte rosa in dem trüben Licht, das ins Zimmer fiel und die blauvioletten Streifen des Vorhangs dunkler färbte. Auch mit verzerrten Lippen sah ihr Gesicht weich aus, nur ihre Wangen schienen weniger rund zu sein, die Augen größer geworden, die Haut durchsichtig. »Ja, das sind Wehen«, bestätigte Lina mit ihrer ruhigen, klangvollen Stimme, in der Erstaunen lag. »Hast du keinen Hypertonus gefühlt?« fragte Jo’ela und legte die Hand auf das Knie Talia Levis, die bei der Berührung zusammenzuckte. »Nein«, versicherte Lina, »es scheint alles ganz normal zu sein.« Jo’ela bat sie, den Monitor lauter zu stellen. »Warum hört man nichts?« fragte Talia Levi erschrocken. »Es hört sich ganz anders an als heute morgen. Und es tut mir jetzt auch anders weh.« Jo’ela richtete sich auf. »Wie?« fragte sie und beobachtete das Tropfen der Infusion. »Anders«, sagte das Mädchen. »Im Bauch. Ein neues Bauchweh.« Jo’ela legte ihr wieder die Hand auf den Bauch. Schon bevor die Blutung einsetzte, fühlte sie, daß sich etwas geändert hatte, daß beim Platzen der Fruchtblase oder vielleicht in dem Moment, als Lina den Gürtel an dem gespannten Bauch befestigt hatte, oder auch kurz darauf schon nichts mehr in Ordnung gewesen war.)
    »Du konntest es wirklich nicht wissen«, murmelte Nerja. »Niemand hätte es wissen können. So ist es nun mal bei einer Plazentalösung. Man könnte glauben, es ist das erste Mal, daß … Genug, Jo’ela, wirklich. Gehen wir was essen. Vergessen wir das Ganze. Wir haben nur noch wenig Zeit bis zur Besprechung. Ich lade dich zu Pommes frites ein, in der Cafeteria, wie damals, als wir für die Prüfungen gelernt haben.«
    (Die Blutung war nur leicht gewesen, und im ersten Moment hatte Lina gemeint, sie gehöre zum Fruchtwasser. »Der letzte Rest vom Fruchtwasser«, hatte sie mit ihrem amerikanischen Akzent gesagt, aber Jo’ela, die das Tuch hob und zwischen den verkrampften Knien hindurchsah, hörte schon das Warnzeichen in ihrem Kopf, aber sie sagte nichts. Ihre Bewegungen waren zu langsam, weniger entschlossen als sonst, vielleicht wegen der letzten Nacht, vielleicht auch wegen der Frage, was mit Jo’el sein würde, wegen des jungen Mädchens, wegen ihres Versagens, vielleicht auch wegen des tadelnden Gesichts der Stationssekretärin, die mit einem Blick auf den karierten Schottenrock und den braunen Regenmantel verkündet hatte, Jo’ela möge doch bitte in Zukunft Bescheid sagen, wohin sie gehe, man habe sie gesucht, und bis zu Margaliots Rückkehr sei kein Oberarzt auf der Station, außer Nerja, der nachts gerufen worden sei.)
    Nerja wartete draußen, vor der Garderobe, bis Jo’ela den grünen Kittel gegen den Schottenrock getauscht hatte. Ihre Finger waren trocken und hölzern, als sie das Fach abschloß.
    Er empfing sie mit einem Lächeln. »Du siehst aus wie eine von den Frommen«, sagte er. »Wie ein braves, orthodoxes Mädchen. Was ist das, was du heute anhast?«
    Sie zuckte mit

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