So hoch wie der Himmel
der abgrundtief leidenden Seraphina ein. »Dann würde ich meine Mitgift nehmen und eine Weltreise unternehmen: Ich würde alle Orte aufsuchen, die ich sehen will, alles machen, was mir gefällt und das werden, was ich sein will.« Sie streckte die Arme aus und genoß die Wärme der Sonne auf ihrer Haut.
Auch sie liebte Templeton, denn es war das einzige Heim, an das sie sich erinnerte. Sie war erst vier Jahre alt gewesen, als ihre Mutter auf der Suche nach Arbeit von Irland nach Amerika gekommen war. Obgleich man sie immer wie ein Mitglied der Familie behandelte, hatte sie niemals vergessen, dass sie die Tochter einer Angestellten war. Doch sie wollte mehr. Viel mehr.
Sie wusste, ihre Mutter strebte eine gute Ausbildung, einen guten Job und einen guten Ehemann für sie an. Was, dachte Margo jetzt, konnte langweiliger als eine solche Zukunft sein? Sie würde nie wie ihre Mutter werden – niemals würde sie bereits in jungen Jahren so verhärmt und einsam dahinleben.
Ihre Mum war jung und hübsch, und selbst wenn sie diese beiden Tatsachen herunterspielte, blieben sie bestehen. Trotzdem ging sie niemals aus und behandelte auch die Tochter furchtbar streng. Tu dies nicht, Margo, tu das nicht, du bist zu jung für Lidschatten und Lippenstift. Immer ängstigte sie sich, immer war sie in Sorge, dass ihre Tochter zu ungebärdig, zu eigensinnig und allzu versessen darauf war, über ihren Stand hinauszukommen, was für ein Stand das auch immer sein mochte.
Margo fragte sich, ob ihr Vater vielleicht ebenso wild gewesen war. Oder schön? Und ob ihre Mutter ihn heiraten musste – so wie es jungen Mädchen hin und wieder erging? Ganz sicher hatte sie nicht aus Liebe geheiratet, denn warum sprach sie nie von ihm? Weshalb hatte sie keine Photos, keine Erinnerungsstücke, keine Geschichten von dem Mann, dem sie angetraut gewesen und der während eines Sturms untergegangen war?
Margo blickte aufs Meer hinaus und dachte über ihre Mutter nach. Zwischen Ann Sullivan und Seraphina gab es nicht die geringste Ähnlichkeit. Statt Trauer und Verzweiflung zu empfinden, als ihr Mann verschollen blieb, hatte sie einfach dieses Kapitel ihres Lebens zugeklappt.
Was wahrscheinlich durchaus richtig war. Ließe man nicht zu, dass einem ein Mann allzu viel bedeutete, dann täte es einem auch nicht allzu weh, bliebe er eines Tages weg! Was jedoch nicht hieß, dass man sich damit automatisch auch selber abmelden musste. Statt von einer Klippe zu springen, gab es doch bestimmt andere Lösungen.
Wenn ihre Mum sie doch nur verstünde, dachte sie, blickte erneut aufs Meer hinaus und schüttelte dann vehement den Kopf. Besser haderte sie nicht damit, dass nichts, was sie tat oder ihr wichtig war, den Beifall ihrer Mutter fand. Der Gedanke an ihre Mißbilligung störte sie, also dachte sie lieber an etwas anderes …
… zum Beispiel an die Orte, an die sie eines Tages zu reisen beabsichtigte, an all die Menschen, denen sie sicher noch begegnete. Die Pracht des Lebens in Templeton House, die Welt, in der sich die Besitzer so natürlich bewegten, gefiel ihr. All die phantastischen Hotels, die diese Familie in so vielen aufregenden Städten besaß. Eines Tages wäre sie in einem von ihnen Gast, hätte sie ihre eigene Suite – wie die im Templeton Monterey, mit zwei Etagen, den eleganten Möbeln, den Blumen überall und einem Bett, das mit seinen dicken, seidenbezogenen Kissen und dem Baldachin einer Königin würdig war.
Als sie Mr. Templeton gegenüber einmal etwas Derartiges verlauten ließ, hatte er gelacht, sie in den Arm genommen und ihr gestattet, auf dem Bett herumzuhüpfen, um dessen Bequemlichkeit zu testen. Niemals vergäße sie, wie gemütlich es in den weichen, duftenden Daunen gewesen war. Mrs. Templeton hatte ihr erklärt, dass dieses Möbelstück vor zweihundert Jahren in Spanien gefertigt worden sei.
Eines Tages hätte sie ebenso schöne und wertvolle Dinge wie ein solches Bett. Sie würde sie nicht nur instand halten, wie es ihre Mutter tat, nein, sie besäße sie. Denn sobald man sie besaß, war man ebenfalls schön und wertvoll.
»Wenn wir Seraphinas Mitgift finden, sind wir reich«, sagte sie.
Kate schnaubte abermals verächtlich auf. »Laura ist schon reich«, bemerkte sie ganz richtig. »Und selbst wenn wir das Geld finden, müssen wir es auf die Bank bringen, bis wir volljährig sind.«
»Dann kaufe ich mir alles, was ich will.« Margo setzte sich auf und schlang ihre Arme um die Knie. »Kleider und Schmuck und lauter
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