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So muss die Welt enden

So muss die Welt enden

Titel: So muss die Welt enden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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Gut. Er hat vor, mich zu zerlegen. Er will mir Schaltkreise und Pumpen einbauen. Aus mir wird Platon, Julius Cäsar oder George Washington.
    Wie eine U-Bahn beim Anfahren ratterte und schlingerte das Laboratorium, Luftzug fuhr durch die Risse in den Wänden. In Behältnissen bibberten Organe, amputierte Arme wumsten an die Seiten ihrer Tanks, die an Deckenhaken befestigten Skelette schaukelten wie knöcherne Lüster.
    Die Boutique hob ab und flog fort.
    Der Hutmacher latschte mit einem Tablett Tee heran. Er hatte die ARES-Montur abgelegt, trug jetzt eine Strickjacke und seinen Morgenmantel.
    George versuchte zu sprechen, doch seine Stimmbänder schienen eingefroren zu sein. Er schenkte sich Tee ein, trank. »Ich hätte nicht gedacht, daß es auf der Welt soviel Grausamkeit gibt.«
    »Eine komische Bemerkung von einem verurteilten Kriegsverbrecher. Ihre liebevolle Braut wollte Ihnen ’n Tag des Glücks gönnen, sonst nichts. Wir haben berechnet, daß das Schmierentheater für zwölf Stunden gutgehen könnte. Nennen Sie’s Grausamkeit, wenn Sie wollen, Irreführung oder Lüge, aber eine Lüge kann auch ’n Beweis der Barmherzigkeit sein. Ich bewerte es als ’n Geschenk an Sie.«
    »Sie hat erwähnt«, erwiderte George, »es wäre ’ne Abmachung gewesen.«
    »Mit wem? Der Ausrottung? Gewöhnen Sie sich endlich ab, in ’ner Traumwelt zu leben. Mit der Ausrottung können Sie nicht feilschen. Ich hab’s Ihnen schon damals in der Stadt gesagt. Die Abmachung hat sie mit meiner Wenigkeit ausgehandelt. Ihre Braut hat mir honorarfrei a bisserl Therapie zukommen lassen, und ich hab ihr kostenlos ’n Automaton gebastelt. Die Therapie ist, wie wir vorher wußten, zwecklos geblieben. Garantierte gegenseitige Vernichtung läßt keine Hintertürchen offen.«
    George schwang sich von der Bahre – sein Nacken war steif infolge Hollys Hottemax-Ritt – und folgte dem Hutmacher aus dem Laboratorium ins Geschäft. Auf dem Ladentisch lag ein Stapel ARES-Abgabeverträge. Die Schultern der Schaufensterpuppen lugten durch die morsche Kleidung wie Warzenmelonen durch Einkaufstüten. Die beiden Männer schlenderten zu dem nach außen gebauchten Fenster, beugten sich über die verschwenderische Auslage an Hüten. Theophilus vertauschte seinen Klapphut gegen eine mit Edelsteinen verzierte Krone. George setzte einen Homburger auf und betrachtete den vogellosen Himmel. Schwärzliche, geblähte Wolken trieben vorbei, als wären sie Rauchfahnen aus den Schornsteinen einer Waffenfabrik.
    »Seit dem Krieg ist Ihr Kind nichts anderes als eine Anzahl wahllos verteilter Moleküle mehr gewesen«, sagte der Hutmacher. »Sie haben’s doch gewußt. Sie haben’s die ganze Zeit gewußt. Keine Staatsanwaltschaft, kein Rechtsanwalt hätte sie wieder… Also hab ich’s von Grund auf neu konstruiert. Ihre Frau hat mir ’n Foto aus der Kindertagesstätte und relevante Informationen gegeben. Das mit dem Großen Wagen – alles. Ich habe das Wiedersehen gut programmiert, n’est-ce pas?«
    Die vagabundierende Wahnsinnssonderangebote- Boutique fing zu torkeln und zu trudeln an. Den Modepuppen zuckten die Arme. Die Glocken über der Tür erzeugten ein wildes Schellen.
    »Geben Sie’s ruhig zu, die Sache ist reibungslos über die Bühne gegangen«, verlangte der irre Erfinder. »Ein bißchen rührselig für meinen Geschmack – wahrscheinlich für Ihren auch –, aber im großen und ganz tadellos.«
    George fiel auf, wie ausgemergelt Professor Carter inzwischen aussah. Sein zuvor rötliches Haar war jetzt weiß, und seine Haut ähnelte altem, gammeligem Käse. Die Fliege hing um einen Hals, der so dünn und rauh war wie französisches Stangenbrot. Er hatte nur noch einen seiner Nagerzähne, und dieser letzte Zahn war schwarz und angebrochen.
    Der Erfinder zog sich splitternackt aus und trat vor eine mit königlicher Prunkkleidung behangene Schaufensterpuppe. »Seien Sie mir behilflich, ja?«
    Mit vereinten Kräften zerrten sie den Krönungsmantel herunter, der an Schwere und Unhandlichkeit einem orientalischen Teppich nicht nachstand, und legten ihn um Theophilus’ schmale Schultern. Umgehend sackte er unter dem Gewicht zusammen. Die Krone klirrte ihm hinab. »Wenn man König ist«, keuchte er, stützte sich auf den Ellbogen, »ist es weniger wahrscheinlich, daß die Leute einem die Verrücktheit anmerken.« Wie durch ein Wunder schaffte er es, sich aufzusetzen. »Eine Gefälligkeit noch…« Er betatschte den Hermelin des Mantels. »Krönen Sie

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