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So muss die Welt enden

So muss die Welt enden

Titel: So muss die Welt enden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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Südostasien, im Khmer-Reich. Diese Augen haben einmal die Tempelanlagen von Angkor Wat mit ihrem königlichen Phalluskult gesehen. Stellen Sie sich das mal vor – im Kambodscha des Mittelalters hat man am Königshof einen Phalluskult gepflegt.«
    »Haben Sie keine Achtung vor Toten?« schalt George, breitete das Laken wieder über die Leiche.
    »Ich bringe den Toten ausschließlich Achtung entgegen«, erwiderte der Hutmacher. »Was glauben Sie denn, weshalb ich mich für den Umzug derartig abplackere? Bei Tag und Nacht! Das ist mein Denkmal für die liquidierte Vergangenheit. Sie verstehen doch was von Denkmälern.«
    »Dieser ganze Quatsch ist der blanke Irrsinn!« ereiferte sich George. Er ballte eine Hand zur Faust, wußte jedoch nicht, was er damit anfangen sollte. »Was für eine abscheuliche Idiotie! Sie stammt nicht aus dem zwölften Jahrhundert, sie ist eins von zahllosen Opfer der Strahlung, des Hungers oder…«
    »Also ich«, rief Henker dazwischen, »ich finde die Angelegenheit ziemlich vernünftig.«
    »Vernünftig?!« schrie der Hutmacher. »Vernünftig? Sie müssen mich vernünftig nennen, was? Die Vereinten Stabschefs hat man auch als ›vernünftig‹ bezeichnet. Und der Nationale Sicherheitsausschuß ist auch ›vernünftig‹ genannt worden!«
    Er postierte sich vor seinem Z-1000-Computer, wölbte die Finger über die Tastatur, als beabsichtigte er ein Klavierkonzert zu geben.
    »Überwiegend ist es die zweite Garnitur der Menschheitsgeschichte, die hier angeschwemmt wird, aber manchmal kommt ein echter Star vorbeigeschwappt. Am Sonntag beispielsweise habe ich Nostradamus gefunden, den genialen, mutigen Seuchenarzt und Wahrsager der Renaissance. Was gäbe ich für Hitler! Wissen Sie, ich kann die Vergangenheit ändern, sie sinnvoller gestalten. Gestern abend hat Johanna von Orlean zehn Geistliche auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Hätte ich Hitler, ich würde ihn zum Juden machen. Spermatiden, George? War das es, was Sie wünschten? Sperma fürs Kinderzeugen? Da sind Sie haargenau an den Richtigen geraten.«
    »Ich muß zu einem Fertilitätsforscher.«
    »Ich bin einer. Ich kann Sie so zeugungsfähig wie einen Dachkater machen.«
    Der Hutmacher sprang in eine dunkle Nische, dessen Zugang zwei kopflose, magere Schneiderpuppen flankierten. Sekunden später kam er mit einem moosig-morschen Brocken Borke zum Vorschein. Ein weißer, robuster, symmetrisch geformter, wie eine Kirchenglocke gewachsener Pilz sproß auf dem Holz. »Hier sehen Sie Ihren und meinen Freund: Agaricus cameroonis.«
    »Soviel ich weiß«, sagte George, »können Pilze giftig sein.«
    »Atompilze haben Sterilität verursacht, der Kamerunpilz heilt sie. Oder, um es wissenschaftlich auszudrücken: Kamerunpilz fördert in strahlengeschädigten Hodenkanälchen neue Spermatidenproduktion. Dieser Sachverhalt ist seit dem Jahre zweitausendfünfzehn nach Christus bekannt.«
    »Das glaub ich Ihnen nicht.«
    »Bleibt Ihnen was anderes übrig?«
    Georges Schußwunde pochte wie rasend. Warum hatte Mrs. Covingtons Laterna Magica in dieser Hinsicht nicht ein paar aufschlußreiche Einzelheiten mehr zeigen können? Eine kleine Glasmalerei, die ihn abbildete, wie er Kamerunpilz verzehrte – war das zuviel verlangt? Warum mutete die postatomare Existenz ihm zu, so verflucht viele Entscheidungen treffen zu müssen?
    »Spazieren Sie in einer Mondnacht durch unseren Wald«, sagte der Hutmacher, »und mit etwas Glück werden Sie Agaricus cameroonis sein fahles Haupt aus dem Spalt eines abgestorbenen Baumstamms erheben sehen. Aber erwarten Sie nicht, ihn dort auch am nächsten Tag noch vorzufinden, denn im ersten Morgengrauen schlüpft er zurück in seinen Palast der Fäulnis und verbirgt sich. Ich biete Ihnen hier eine Seltenheit an, George, ein regelrechtes Sammlerstück. So ein Exemplar kriegen Sie nicht an der Ecke im Drogeriemarkt.«
    »Na gut. Ich eß ihn.«
    »Nein, tut mir leid, das ist ein ganz schlechter Einfall.« Theophilus steckte den Pilz unter seinen Morgenrock. »In Wahrheit sind Sie gar nicht scharf auf Kinder. Bälger machen viel Lärm, verschütten ihre Milch, lassen überall ihre Buntstifte rumliegen.«
    »Bitte…«
    »Erst müssen Sie die Frage beantworten.« Mit der Hand rieb Theophilus auf dem verdeckten Pilz herum.
    »Welche Frage?«
    »Ach, welche Frage? Eine gute Gegenfrage.«
    »Vielleicht die Frage nach dem Raben und dem Schreibtisch«, machte Henker einen Vorschlag.
    »Ja!« erregte sich begeistert der Erfinder. »Genau!

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