Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
So muss die Welt enden

So muss die Welt enden

Titel: So muss die Welt enden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
Vom Netzwerk:
Gentlemen entstaubte die zerspellten Rüstungen japanischer Samurai. Wämser des 18. rieben ihre zerknitterten Schultern an Abendkleidern des 19. Jahrhunderts.
    »Suchen Sie Unterkunft?« rief eine Stimme mit britischem Akzent. »Oben sind gerade mehrere Totenfeiern in Gang. Möchten Sie ein Zimmer mit Aussicht?«
    Der irre Erfinder war gealtert, nicht durch die außerhalb des Schwarzblütigenreichs weggefallenen Jahrzehnte, jedoch immerhin genug, um ihn auf ein Altersstufe jenseits der sechzig zu heben: Er hatte jetzt eingesunkene Augen, das rote Haar war zu einem Rosa ausgebleicht, Leberflecken tüpfelten seine Stirn. Sein Klapphut schien sich ein Ekzem zugezogen zu haben.
    »Ich bedaure, daß Ihre Spezies ausgestorben ist«, sagte er. »Eigentlich wollte ich eine Beileidskarte schicken. Aber für verspätete Beileidsgrüße werden keine Karten hergestellt, was? ›Es bereitet mir tiefen Kummer, das Ringen Ihrer Frau Mutter mit dem Krebs versäumt zu haben.‹«
    Zum erstenmal seit dem Festbankett fing Georges Schußverletzung wieder zu pochen an. »Durch Sie habe ich beträchtlichen Ärger am Hals, Professor.«
    »Ärger?« äffte der irre Erfinder ihn nach.
    »Ich soll wegen des Weltuntergangs vor Gericht gestellt werden.«
    »Bedenken Sie, daß es mieser um Sie stehen könnte. Sie könnten nicht wegen des Weltuntergangs vor Gericht gestellt werden und statt dessen das corpus delicti sein. Den Abgabevertrag zu unterschreiben, war das Schlauste, das Sie je getan haben.«
    »Wie, Sie kennen diesen Vogel?« erkundigte Henker sich bei George.
    Theophilus lüftete den Hut. »Vogel? Der Rabe ist ein Vogel, auch der Geier, aber ich bin keiner. Sie sind auch kein Vogel, Generalmajor Tarmac, obwohl es uns allen besser ginge, wenn Sie einer wären. Sagen Sie, George, haben Sie je herausgefunden, inwiefern ein Rabe wie ein Schreibtisch sein kann?«
    »Im Moment bin ich am meisten daran interessiert, mich über Fragen der Zeugungsfähigkeit zu informieren. Meine sekundären Spermatozyten werden nicht zu Spermatiden.«
    Der irre Erfinder gab ein langgedehntes, klangvolles Aufstöhnen von sich. »Auf der Welt findet gegenwärtig nicht mehr sonderlich viel Fortpflanzung statt, nicht wahr? Infolge der Ausrottung und dieser Mätzchen. Die postatomare Umwelt ermuntert wenig zur Vermehrung.«
    »Ausrottung?« raunzte Henker. »Was für ein Mumpitz, auf den Straßen tummeln sich doch Ihre Kunden in Massen. Sie müssen zur Karnevalszeit ja einen beachtlichen Umsatz erzielen.«
    So spontan, daß niemand wußte, wer voranging und wer sich anschloß, traten die drei Männer zum Fenster. Der Umzug wälzte sich über den Platz wie ein gewaltiger, nach allen Seiten mit Fühlern und Flagellen gespickter Organismus.
    »Willkommen in der Stadt der liquidierten Vergangenheit«, sagte der irre Erfinder, »oder, wenn’s Ihnen so lieber ist, der Nekropole der Geschichte. Oder eben, wenn Sie’s gern anders haben, der Stadt der liquidierten Vergangenheit. Genau Ihre Art von Stadt, George. Ihre auch, General.« Er deutete mit dem Zeigefinger auf die Scheibe. »Sehen Sie, dort ist ein Palastwächter vom Hofe Harun al-Raschids im Bagdad des achten Jahrhunderts. Und da ist ein römischer Bürger und Baumeister, der im Jahre einhundertdreiundvierzig vor Christus eine Wassermühle konstruiert hat. Hier ein Händler, dem das Verdienst zukommt, im Jahre eintausendvierundsiebzig verbesserte Pflüge nach Flandern importiert zu haben. Ein Bischof, der am Konzil von Trient teilgenommen hat. Ein Arbeiter von Henry Fords erstem Fließband… Denken Sie einmal darüber nach! Diese Menschen haben wirklich gelebt.« Theophilus hielt sich den Hut in Herzhöhe vor die Brust. »Jeden Morgen sind sie aufgestanden. Sie haben geatmet, debattiert, gebumst, sich Einläufe gemacht. Sie haben die Sonne gesehen. Sie hatten ihre Meinungen über Katzen. Da, hören Sie das? Hören Sie ihren Kummer? Ihr Schluchzen und Heulen? Sie sind tieftraurig, weil ihr Dasein entwertet worden ist. Wenn man das Menschengeschlecht in Müll verwandelt, wird auch die Geschichte zu Müll. ›Wozu haben wir uns der Mühe unterzogen, Schrift zu entwickeln?‹ fragen sie sich. ›Oder Spinnräder? Weshalb haben wir uns mit dem Bau von Kirchen geschunden?‹«
    Der Erfinder winkte abgehackt; George und Henker folgten ihm hinter die Ladentheke und durch Samtvorhänge in einen bullig heißen, verwahrlosten Raum, den man sich als Laboratorium vorstellen konnte, dem nie etwas Gutes entsprang. Über

Weitere Kostenlose Bücher