So muss die Welt enden
hinweg, daß er ihn regelrecht über sich hinwegzischen hörte.
Geradeaus vor ihnen lag das U-Boot, schaukelte in der Flut, die mittlerweile an die Küste brandete. George war heilfroh, als er sah, mittschiffs stand das Luk noch offen. Oder halluziniere ich? überlegte er. Nein, er hatte wirklich den Eindruck, ein offenes Luk zu sehen. Es bestand eindeutig eine Chance, daß Operation Erebus sie noch einmal rettete.
Aber der Sumpf, so merkte George, war mit der liquidierten Vergangenheit im Bunde. Der Schlick saugte sich an seinen Stiefeln fest, dunkler Brei hielt ihn auf; auch Henker, sah er, kam nicht weiter, er schien auf der Insel Wurzeln geschlagen zu haben wie ein Baum, er fuchtelte und schimpfte. Der Mob menschlicher Uhrwerke stapfte näher, hatte Speere erhoben, schwang Schwerter, während Fleisch von den Gesichtern rutschte, als trügen die Bürger schlechtsitzende Masken, so daß jeder das beharrliche Lächeln eines Totenkopfs zeigte.
George reckte den gefährdeten Hals, und sein Blick fiel genau in diesem kritischen Moment seines Geschicks, als der Tod durch die liquidierte Vergangenheit unabwendbar zu sein schien, auf den Rumpf des U-Boots, als auf einmal steuerbords sämtliche Klappen der Raketenabschußrohre aufschwangen, ohne daß die geölten Scharniere ein Geräusch erzeugt hätten. Unversehens erhielt das U-Boot Ähnlichkeit mit einer mittelalterlichen, zinnenreichen Burg. Aus den Öffnungen sprang, ausgerüstet mit ARES-Montur-Waffen, Olaf Sverres Mannschaft, allen voran, breites Schmunzeln auf den Mondgesichtern, Max und Moritz. Ach, ihr tapferen, prachtvollen Blaujacken, dachte George, dafür werdet ihr alle mit Orden belohnt. Indem sie hinter den Klappen in Deckung gingen, legten die Annullierten-Seeleute ihre wunderbaren 45er Colts, ihre ausgesprochen schönen Remington-Gewehre Kaliber 12 und ihre herrlichen HK-91-Sturmgewehre an.
Oben auf dem U-Boot-Turm stand Olaf Sverre, seine Erscheinung zeichnete sich hoch und scharf gegen den rötlich verfärbten Himmel ab, der Zylinder ragte in den Sonnenaufgang. Ein lautes, unverständliches Grölen drang aus seinem Mund, ein Aufröhren, von dem George inständig hoffte, es sei der Feuerbefehl.
Verschossen von Händen, die erst seit kaum zweihundertundfünfzig Tagen ein Ersatzleben führten, flogen Kugeln in alle Richtungen, doch selbst eine so unordentlich abgefeuerte Salve genügte, um die Hälfte der Bürgerschaft zu fällen. Aus zerfetztem Fleisch fluppten Relais und Servos. Körper klatschten in den Matsch, wanden sich in Zuckungen, schlugen um sich, suhlten sich im breiigen Untergrund, beschmierten sich mit Dreck. Ein zersiebter Samurai rollte George vor die Füße. Seine Schreie erinnerten an die Nadel eines Plattenspielers, die quer über die Rillen einer Schallplatte schrammte.
Die verbliebenen Bürger ließen sich nicht lumpen. Speere klirrten wirkungslos gegen den Rumpf des U-Boots, mit Schleudern geworfene Steine prallten von den Abschußrohrklappen ab, als prasselte Hagel auf ein Blechdach. Sverre befahl – o tüchtiger Soldat, glorioser Held! – eine zweite Salve. Sie streckte weitere fünfzig Bürger nieder, aber die liquidierte Weltgeschichte wußte noch immer nicht, was Niederlage bedeutete. Der Ansturm der Bürgerschaft blieb ungebrochen. Brandpfeile tauchten den Sumpf in eine Art unirdischen, diffusen Lichts, ihr Rauch verschleierte das Geschehen. George spürte Regungen in seinen eben erst wiederbelebten…
*
Keimdrüsen, dachte Sverre. Das Gefecht wirkt sich irgendwie auf meine Keimdrüsen aus. (Nicht locker lassen, Männer! Links mehr Qualm, mehr Chaos rechts, das schwere Geschütz nach vorn, ich will Trompeten, Trommeln, Fahnen, Explosionen in allen Farben, Dreck muß umherspritzen!) Als er noch einmal zu feuern befahl, begriff er, daß jetzt erinnerte Leidenschaft durch seine Gefäße und Adern kreisten, als hätten sie nur auf die geeigneten Stimuli gewartet. Wie tief reichten doch die vorteilhaften Begleitwirkungen eines munteren Kämpfchens! In Gedanken desertierte er vom Schauplatz der Kampfhandlung, um die seltenen, kostbaren Erinnerungsbilder um so schwelgerischer auskosten zu können.
Ja, es war alles vollkommen klar. Er hätte die schöne Seekadettin Kristin nach Barbados eingeladen, und in einer feuchtschwülen Nacht, während sie durch eine leichte Brise, Insekten und Vögel mit natürlich-urtümlichem Jazz umsäuselt worden wären, hätten sie sich im offenen Wasser des Strands geliebt. (Hätte er ihr das
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