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So muss die Welt enden

So muss die Welt enden

Titel: So muss die Welt enden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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Wochenende vorgeschlagen? Höchstwahrscheinlich ja.) Durch seine märchenhaft schönen Erinnerungen an die Zukunft erregt, nahm Sverres Perus göttliche Proportionen an, stemmte sich, begierig darauf, in die weite Welt vorzustoßen, gegen den Stoff der Hose. Ach, wie sehr er sich wünschte, sein Leben hätte stattgefunden, wenigstens der Teil in der Karibik. Annulliertsein war eine krasse Ungerechtigkeit. Kein Wunder, daß er trank.
    Er befahl eine vierte Salve. Neben vielen anderen fiel ein Söldner der Renaissance, ein Jüngling, der bei der Belagerung Ferrars Seite unter Papst Julius II. gekämpft hatte. Der totenköpfige Soldat raffte sich jedoch wieder auf, zog das Schwert und stürmte auf die in den Morast eingesunkenen Beklagten zu.
    »Feuer!« brüllte Sverre.
    Eine ganze, umfangreiche Garbe von Kugeln traf den Söldner, als wäre ein Karton Skalpelle verschleudert worden, so ratschte sie ihn auseinander, reduzierte ihn auf einen Haufen Gummi und Plastik. Vor Staunen und Erleichterung lachten die Beklagten. Und da, so plötzlich wie ein Atomkriegsstratege, dem die Ziele ausgegangen waren, sah Sverre, das Gefecht war vorüber, und wenig später schrumpfte auch seine ansehnliche, traumhafte Erektion.
    *
    Nachdem sein Erster Offizier die Erebus-Beklagten aus dem Sumpf geholt und an Bord zurückgebracht hatte, kletterte Sverre, die Gin-Pulle griffbereit, am Außenrumpf des U-Boots hinunter und watete durch den biotechnischen Fleischabfall. Er betrachtete die zerrissenen Leiber, die zerstückelten Gliedmaßen, die abgetrennten Stücke mit Schlick bekleckerten Fleischs. Er fühlte sich aufgeheitert und angewidert – aufgeheitert durch das Gemetzel, angewidert durch seine Aufgeheitertheit.
    Krieg, so hatte er festgestellt, machte Spaß. Ein effizient und erfolgreich ausgeführtes Massaker verhalf zu gründlicher emotionaler Befriedigung. Seemännern zu befehlen, das Feuer zu eröffnen, konnte unter bestimmten Umständen einem Mann das Blut zum Rauschen bringen – ob Geborenenblut, ob Annulliertenblut, spielte keine Rolle. Ach, wie gut würde er in der kommenden Nacht auch ohne eine Augevoll Gin schlafen! Er besah sich die Bescherung ringsherum und weinte. Mit welchem Recht klagen wir die Erebus-Sechserbande an? Inwiefern sind wir besser als sie? Das Tribunal ist eine Farce. Ich liefere meine Gefangenen ab – Hier sind sie, weise Richter, allesamt gesund und wohlbehalten, ich habe meinen Auftrag erledigt –, aber ich werde bei ihrer Hinrichtung kein Faß aufmachen.
    Eine halbe Stunde verstrich. Achthundert Sekunden, an die sich Sverre trotz der Sorgfalt, die er gewöhnlich aufbot, um sich jedes Quentchen seiner kurzen Erdenlaufbahn einzuprägen, niemals mehr erinnern sollte. Kapitänleutnant Grass kam zu ihm. Paxton und Tarmac seien in ihren Kabinen, meldete er. Die Türen seien mit doppelten Schlössern versehen, vor den Türen Posten aufgestellt worden.
    »Sind wir seeklar, Mister Grass?« fragte Sverre.
    »Jawohl, Sir, seeklar.«
    »Dann sollten wir nicht lange bummeln.«
    »Auslaufen, Sir?«
    »Auslaufen.«
    »Volle Kraft voraus?«
    »Volle Kraft voraus.«
    »Kurs McMurdo-Station?«
    »Kurs McMurdo-Station.«
    Schroffe Böen wehten. Der Morgen wurde trüb. Das verschwommen sichtbare U-Boot schaukelte auf und ab, hin und her, als sehnte es sich ungeduldig nach der Weite des Südatlantiks. Sverre latschte langsam wie hinter einem Sarg durch den Matsch, trank Gin, hustete, schauderte aufgrund der Kälte seines Gummiauges zusammen, suchte sich behutsam einen Weg durch die Überbleibsel der Vergangenheit.

 
ENTR’ACTE
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    Salon de Crau en Provence, Frankreich, 1554
     
     
    »…suchte sich behutsam einen Weg durch die Überbleibsel der Vergangenheit.«
    Die Hand geschützt in einem Handschuh, zog Nostradamus die erhitzte Glasmalerei Olaf Sverres, die ihn beim Durchschreiten des Sumpfgeländes zeigte, aus der Laterna Magica. Die an die Wand geworfenen Umrisse der Flamme strahlten zurück und erleuchteten das Geheimkabinett mit weißlich-goldgelbem Licht.
    Jakob Mirabeaus Miene ließ sich nicht deuten, glich einem Fels mit eingehauenen Hieroglyphen. Dann aber verzog es sich zu einem Gähnen von staunenswerten Ausmaßen.
    »Du langweilst dich«, sagte der Prophet mit einem Aufseufzen. Nächtlicher Wind rührte an den Vorhängen.
    »Nein, Monsieur, ich bin nur müde«, erwiderte der Knabe. »Ich läge längst im Schlummer, flößte Eure Darbietung mir nicht solchen Schrecken ein. Ich befürchte, ich muß davon

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