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So nah am Leben

So nah am Leben

Titel: So nah am Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inaqiawa
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sie sie wirklich spüren kann, fällt sie erschöpft in den Schlaf. Keine Gedanken mehr, kein Traum — nur tiefer Schlaf.

    Als sie die Augen aufschlägt, ist es immer noch hell — oder schon wieder? Sie schaut auf die Uhr und sieht, daß sie ungefähr zwei Stunden fest geschlafen hat.
    Sie wagt nicht, sich zu bewegen. Die Schmerzen in ihren Gliedern sind beeindruckend. Ganz langsam zieht sie vom anderen Bett noch eine weitere Wolldecke zu sich herüber, dann schläft sie wieder ein. Ihr knurrender Magen weckt sie, und als sie sich bewegt, spürt sie, daß ihr Körper sich offensichtlich erholt hat. Sie schlüpft in ihr Kleid und in die Badelatschen und sucht den Weg zum Restaurant.
    Auf halber Strecke sieht sie, daß es hier einen blumenbewachsenen Patio gibt. Wie wunderbar.

    Eine heiße Wanne, der erholsame Schlaf und ein sonnendurchströmter Patio — jetzt ist ihr Glück perfekt. Innerhalb weniger Stunden hat sich ihr Leben von einem Alptraum zur Glückseligkeit gewandelt. Sie wundert sich darüber, wie sehr die Umgebung ihre Gedanken und Gefühle beeinflußt. Vor ein paar Stunden wollte sie nur noch nach Hause, um Regen, Hagel und Anstrengungen hinter sich zu lassen, und jetzt sitzt sie hier und kann schon wieder genießen.

    Sie möchte ein Tagebuch schreiben, um die vielen Eindrücke festzuhalten. Hier im Patio ist der richtige Ort, um damit zu beginnen. Ein paar Tapas und ein Glas Wein begleiten sie dabei, bis die Sonne untergegangen ist und die Dämmerung sie daran erinnert, daß es Zeit wird, schlafen zu gehen.

Glück

    Glück ist!
    Um glücklich zu sein,
    brauchen wir keine Bedingungen.
    Das Glück ist immer da,
    wenn wir die Tür öffnen!

    Das nette kleine Zimmer ist lichtdurchflutet. Durch das geöffnete Fenster schaut Samantha in einen wunderbar wolkenlosen, blauen Himmel. Die Zeiger der Uhr stehen bereits auf viertel nach acht. Sie hat fest wie ein Stein geschlafen, über zehn Stunden lang. Die Erschöpfung des gestrigen Tages klebt noch immer an ihr. Mit einem kräftigen Schwung versucht sie aufzustehen.
    Sie kann sich nicht bewegen.
    Sie hat nicht nur geschlafen wie ein Stein, sie fühlt sich auch wie ein Stein. Langsam versucht sie eine Bewegung mit den Füßen. Die Achillessehne ist zum Zerreißen angespannt und schmerzt. Ihre Waden, ihre Oberschenkel, ihre Schultern und dazwischen der Rücken, alles reagiert mit Terror auf die kleinste Bewegung in Form von Schmerz. Sie kommt sich vor wie im Gipsbett. Zwar weiß sie gar nicht, wie sich das anfühlt, aber so stellt sie es sich eben vor. Ohne jegliche Bewegungsmöglichkeit, und wenn, dann nur unter Protest der Schmerzen.

    Samantha schließt die Augen wieder und versucht, ihre Situation von innen heraus zu überblicken. Gymnastik, sie braucht Gymnastik, und etwas, das die Blutzirkulation in ihrer Muskulatur beschleunigt, um den Muskelkater zu überwinden. Sie erinnert sich an das Buch „Schmerzfrei leben“ von Pete Egoscue und an die Standardübungen, die sie eine ganze Zeit lang morgens zur Routine gemacht hatte. Sie beginnt mit den Fußgelenken und arbeitet sich dann weiter nach oben. Nach zwanzig Minuten Gymnastik kann sie wieder auf ihren Füßen stehen, der Rücken ist gewillt, den Rumpf zu tragen, und die Schultern erklären sich bereit mitzumachen.
    Jetzt noch ein Sondermix aus Calcium, Magnesium, Schüßler-Salzen und Bachblüten-Rescuetropfen: ihr morgendliches Dopingpaket.
    Das alles zusammen bringt sie in eine akzeptable Ausgangslage für diesen Tag. Die Etappe nach Pamplona ist nur halb so lang wie die gestrige. Das veranlaßt sie zu guter Laune.
    Alles in allem haben die Vorbereitungen zwei Stunden gedauert, dann ist sie bereit aufzubrechen. Der Rucksack ist gepackt, noch mal schnell nachsehen, ob sie auch wirklich alles eingesteckt hat, und dann rauf auf die Schultern und nach draußen.

    Ja, so hat sie sich das vorgestellt: strahlender Sonnenschein, milde Temperaturen und kein Gedanke mehr daran aufzugeben.
    Ein paar Minuten lang sucht sie in der angegebenen Richtung nach Hinweisschildern zum Camino. Dann sieht Samantha die Muschel und einen gelben Pfeil. Hier ist sie richtig.
    „I’m on the road again...“, denkt sie und bemüht sich, sehr langsam zu gehen. Sie hat gehört, man müsse seinen eigenen Schritt finden, sozusagen lernen, den eigenen Rhythmus zu „gehen“. Gestern war dafür irgendwie kein Raum. Sie erinnert sich gar nicht mehr richtig an die Details des Vortages. Das findet sie äußerst merkwürdig, zumal das

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