So nah am Leben
benutzt es nicht im üblichen Sinne von „egal“, sondern im eigentlichen Sinne dieses Wortes „gleich-gültig“. Ob sich etwas ändert oder nicht, beides ist willkommen, beides hat die gleiche Gültigkeit.
Glück nimmt also die Dinge, wie sie kommen. Eine Welle, die sie mit allem anderen verbindet und die alles nimmt, wie es ist. Glück stellt keine Bedingungen. Es ist da und durchströmt und verbindet.
Und welche Voraussetzungen braucht sie, um glücklich zu sein? Diese Frage erscheint ihr zunächst sehr schwierig, und so nimmt sie ihre momentane Situation als Voraussetzung.
Sie ist mitten in einem Vorhaben, welches Mut und den Willen erfordert, einige Anstrengungen auszuhalten und zu meistern. Sie ist nur mit dem „Not-wendigen“ ausgestattet: ein paar Kleidungsstücke, ein Paar Schuhe und ein paar Kleinigkeiten zum Überleben. Sie befindet sich allein in der Natur, ihr Körper schmerzt, und sie ist ohne jegliche Art von Komfort oder Sicherheit.
Warum steigt gerade jetzt ein Glücksgefühl in ihr auf? All die Dinge, die sie zur Zeit nicht hat, scheinen demnach keine notwendige Voraussetzung zum Glücklichsein zu sein. Komfort, Sicherheit, Gesellschaft, besondere Kleidungsstücke und andere Gegenstände stellen also offensichtlich alle keine Voraussetzung dar, um glücklich zu sein.
Und über welche Voraussetzungen verfügt sie tatsächlich? Sie hat die Natur für sich allein, sie hat ein Vorhaben, Mut und einen festen Willen, Schmerzen und das Notwendige zum Leben. Mehr scheint sie nicht zu brauchen, um Glück empfinden zu können.
Das ist wirklich nicht viel und eigentlich doch immer vorhanden, denkt sie. Warum ist sie dann nicht immer glücklich? Es braucht doch offensichtlich nur so wenig, um glücklich zu sein. Da muß es doch einen Denkfehler geben. Worin liegt der Unterschied zwischen diesen glücklichen und den „normalen“ Momenten des Alltags? Was ist jetzt anders?
Ihr kommt der Gedanke, daß es etwas mit Bewußtheit zu tun haben könnte. Diese Momente jetzt erlebt sie bewußt mit allen Sinnen. Sie sieht, sie riecht, sie hört, und oft tastet sie auch. Zudem ist sie nicht abgelenkt, sondern lebt sehr ursprünglich. Vieles ist sehr deutlich und sehr klar — ohne Ablenkung, einfach nur da, und sie nimmt es (für) wahr.
In solchen Momenten fühlt sie Glück in sich aufsteigen. Es kommt ihr vor, als öffne sich durch ihre Bewußtheit eine Tür, damit das Glücksgefühl sich ausbreiten kann.
Das würde wiederum bedeuten, daß es ihrer Öffnung bedarf — das Glück ist immer da, es wartet nur darauf, daß sie die Tür öffnet. Es sind nur deshalb seltene Momente, weil sie die Tür nur selten öffnet. Sie könnte immerzu glücklich sein, wenn sie die Tür einfach nicht mehr schließen würde. Glück steht ihr also in jeder Sekunde zur Verfügung, wenn sie es nur wahrnehmen wollte. Was für ein schöner Gedanke — was für ein Glücksgefühl.
In diesen Gedanken und Gefühlen versunken ist sie weitergegangen, ohne eine Pause einzulegen. Mit einem Auge immer auf der Suche nach dem nächsten gelben Pfeil haben ihre Füße den Weg von ganz allein gefunden. Sie scheinen auch den eigenen Rhythmus gefunden zu haben und geben ihr so Zeit zu denken, zu fühlen oder einfach nur da zu sein.
Wie aus dem Nichts taucht eine imposante Stadtmauer auf — sie ist angekommen. Der Weg führt an einem gut erhaltenen hohen Wall entlang, und sie befindet sich bereits in Pamplona. Der erste Eindruck erwärmt sie — eine schöne kleine Stadt, deren Energie eine beschauliche und dennoch erfrischende Wirkung auf sie ausübt.
Die Suche nach einer Unterkunft gestaltet sich erneut etwas schwierig. In Spanien sind gerade Sommerferien, und die Hemingway-Stadt ist eine Touristenattraktion.
Hier am Plaza Castillo soll das Hotel stehen, in dem Hemingway immer übernachtete. Sie überlegt, ob sie es sich leisten möchte, und kann sich nicht wirklich entscheiden. Es wäre schon schön, eine Nacht lang das Feeling dieser vergangenen Zeit einzuatmen und so zu tun, als wäre die Zeit stehengeblieben.
Sie kann das Hotel nicht finden. Sie hat den Platz nun bereits zweimal umrundet und keine Hausnummer 1 gefunden. Wenn sie die Mühe betrachtet, die sie aufwendet, um dieses Haus zu finden, merkt sie, daß sie innerlich eine Entscheidung getroffen hat. Und da sie davon ausgeht, diesen Weg kein zweites Mal zu machen, möchte sie jetzt erleben, was es zu erleben gibt. Sie umrundet den Platz ein drittes Mal — keine
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