So schoen und kalt und tot
nachts, damit er mit niemandem reden muss.“
„Das kann ich mir gut vorstellen“, stimmte die Frau zu. „Der Tod eines Kindes ist das Schlimmste, was Eltern passieren kann. Was ist eigentlich mit Billys Mutter passiert? Ist sie noch hier, oder…?“
„Lady Barbara ist bei Billys Geburt gestorben.“ Chester starrte auf seine Fingerspitzen. „Billy war Sir Pattersons Leben. Seit der Junge nicht mehr ist, hat sich alles hier verändert, auch das wenige gesellschaftliche Leben, das es damals noch gab.“
„Eine sehr traurige Geschichte“, stimmte Melanie betroffen zu. „Aber auch bei den McGregors hat es in den vergangenen Jahren viel Leid gegeben, wie ich inzwischen bruchstückhaft erfahren habe. Benjamins Zwillingsschwester ist vor einigen Jahren gestorben, und auf diesem Friedhof liegen, soweit ich Benny verstanden habe, viele McGregors.“
„Ich weiß“, stimmte Chester zu. „Aber lassen Sie uns lieber zu dem aktuellen Vorfall zurück kehren. Unsere Reise in die Vergangenheit machen wir, wenn wir mehr Zeit haben. Wie ich sehe, kommen Ihre Kinder zurück.“
Erleichtert atmete Melanie auf. Auch sie hatte die beiden bereits erblickt. „Da bin ich ja gespannt, was sie für Neuigkeiten bringen. Es ist eine äußerst unangenehme Vorstellung, dass die Ermordete bereits in dem kleinen Raum neben der Kirche aufgebahrt liegt.“
„Das wird sie bestimmt, denn die Polizei hier hat wenig Möglichkeiten. Ein Mord wird zwar nicht auf die leichte Schulter genommen, doch so eine intensive Suche nach dem Mörder wie man es in London handhabt können Sie hier nicht antreffen. Spätestens nach einer Woche wird der Fall zu den Akten gelegt bis, meist durch Zufall, neue Spuren auftauchen. Das kann unter Umständen lange dauern.“
„Ich habe es mir fast gedacht.“ Melanie schauderte bei der Vorstellung, dass der Mörder vielleicht seinem Opfer bis nach Glannagan gefolgt war. „Was soll ich denn jetzt tun?“
„Wie meinen Sie das, Melanie?“
„Ich würde gern zurückgehen zum Castle, doch die beiden sind plötzlich verschwunden. Oder können Sie sie noch sehen? Ich habe, ehrlich gestanden, ein unangenehmes Gefühl bei der Vorstellung, jetzt allein da hinein gehen zu müssen um sie zu suchen.“
Chester schmunzelte unauffällig, denn er wollte die junge Frau nicht verärgern. Aber es freute ihn sehr, dass sie ihm durch die Blume zu verstehen gab, dass sie Angst hatte und nicht allein sein wollte.
„Möchten Sie, dass ich Sie begleite? Es macht mir nichts aus – im Gegenteil, es würde mich sehr freuen, wenn ich Ihnen damit helfen kann. Auf diese Weise können wir einen kleinen Ausflug in die Vergangenheit machen, wenn Sie gestatten. Ich erzähle Ihnen gern über Glannagan und seine Geschichte.“ Er merkte erst jetzt, dass er noch immer seine Hand auf der ihren liegen hatte. Sie entzog sie ihm nicht einmal, als sie sich erhoben.
Das kleine Holztor hing schon seit langer Zeit ziemlich schief in den Angeln und ließ sich nicht mehr richtig schließen. Der Weg war holprig und voller großer und kleiner Steine.
Wild überwucherten die verschiedensten Gräser die teilweise bereits ziemlich verwitterten Grabsteine, deckten die ganz alten sogar vollständig zu, und manche wurden zart umrankt von bunten Blumen mit filigranen Blüten.
Melanie fühlte sich etwas unbehaglich, doch das wollte sie ihrem Begleiter nicht zeigen, der sich anscheinend recht gut auskannte. Sie blieb immer wieder stehen und versuchte, die Inschriften an den Grabsteinen zu entziffern, die teilweise schon seit mehr als hundert Jahren hier standen. Meist gelang es ihr nicht, denn durch Wind und Wetter war bereits viel zerstört worden.
„Wenn Sie wissen möchten, wer hier liegt, könnten Sie beim Pfarrer nach dem Register fragen wo alles notiert ist,“ sagte Chester und folgte ihr mit wenigen Schritten Abstand. „Das wollte ich auch schon immer mal machen.“
„Vielleicht später mal“, wehrte Melanie geistesabwesend ab. „Im Moment interessiert mich das nicht so sehr. Ich wollte nur langsam machen in der Hoffnung, die Kinder kommen gleich und wir müssen nicht bis zur Kirche.“ Sie mochte nicht zugeben, dass ihr bei dem Gedanken, die Tote noch einmal sehen zu müssen, furchtbar graute.
„Der Tod gehört zum Leben“, murmelte Chester vor sich hin. „Man muss ihn akzeptieren und zum Freund machen, dann fürchtet man ihn nicht mehr.“
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