So schoen und kalt und tot
beim Nussbaum, stimmt`s?“
Benjamin lächelte in sich hinein. „Es stimmt“, antwortete er leichthin. „Das war ein schönes Stück Arbeit, ihren Körper in der Nacht aus Glannagan heim zu schleppen. Aber ich hab es geschafft“, fügte er stolz hinzu.
„Dann sind die anderen Beete auch Gräber?“ Alanis hielt den Atem an. Sie hatten Glannagan fast erreicht, doch jetzt bereute das Mädchen fast, mitgegangen zu sein. „Hast du da auch… Menschen begraben?“ Eine Gänsehaut kroch über ihren Rücken.
Der Elfjährige brach in Lachen aus. „Nein, natürlich nicht“, antwortete er atemlos. „Was denkst du denn von mir? In meinen Garten kommen nur Seelen, die mir nahe stehen.“
„Und Countess? Steht sie dir auch nahe? Du kanntest sie doch gar nicht, ehe sie im Zug ermordet wurde.“
„Weißt du das so genau?“ Sie hatten den Friedhof von Glannagan erreicht. Düster und von Nebelschwaden durchzogen lag er vor ihnen. Der Weg war dunkel vom Wasser und die steinernen Grabkreuze glänzten vor Nässe.
Benjamin schob das Tor auf, das schon ziemlich schief in den Angeln hing, und die beiden Kinder traten ein. Sie bemerkten nicht die dunkle Gestalt, die sich rasch zwischen zwei überdimensional großen Steinen versteckte.
„Ich muss nachdenken.“ Der Junge gab seiner Begleiterin zu verstehen, dass er allein sein wollte. Hastig lief er zwischen den zum Teil wild umwucherten Gräbern hindurch, bis er im hinteren Teil verschwunden war.
Geduldig setzte sich Alanis auf einen der umgestürzten Grabsteine und überlegte, was sie tun sollte. Sie verstand Benjamin immer weniger, seine Handlungen jagten ihr Angst ein und gleichzeitig interessierte sie sich dafür.
Eigentlich wollte sie gar nicht hier bleiben. Die Stimmung hatte sich in den letzten Minuten so intensiv verändert, dass das Gefühl drohenden Unheils immer stärker wurde. Eine Gefahr ging heute von diesem Ort der Ruhe aus, der sie nicht entrinnen konnte, das spürte sie ganz deutlich.
Alanis versuchte, sich abzulenken und zeichnete mit einem Holz kleine Figuren auf den nassen Boden. So sah sie auch nicht, wie sich der dunkle Schatten, der sie schon eine ganze Weile beobachtete, aus einem der wild gewachsenen Sträucher löste und langsam auf sie zukam. Immer wieder blieb er stehen und schaute sich um, als wollte er sich vergewissern, dass er nicht beobachtet wurde.
Erst als sie eine Hand auf ihrem Mund und die andere an ihrem Hals spürte wusste sie, dass ihre Ängste zur grausamen Realität geworden waren. Sie versuchte, sich zu wehren, zu schreien, aber kein Ton kam aus ihrer Kehle. Trotz größter Kraftanstrengung schaffte sie es nicht einmal, den eisernen Griff dieser beiden Männerhände zu lockern. Da musste sie sich eingestehen, dass sie verloren hatte.
„Sei still, dann passiert dir nichts“, zischte die Stimme an ihrem Ohr. Sie spürte, wie der Dunkle sie an sich presste, konnte sogar seinen Herzschlag spüren.
„Was wollen Sie von mir?“, keuchte Alanis mit zitternder Stimme, als er für einen kurzen Moment den Druck auf ihren Mund etwas lockerte. Sie hatte schreien wollen, aber ihre Atemluft reichte für einen lauten Ton nicht aus.
Dafür spürte sie den Druck an ihrem Hals fester werden. Plötzlich konnte sie nicht mehr atmen, ihr Brustkorb zog sich zusammen als würde ein schwerer Grabstein auf ihr liegen. Was hatte der Fremde mit ihr vor? Sie hechelte, langsam wich der Druck ein wenig.
„Sei endlich still. Ich werde es dir erklären, wenn es an der Zeit ist.“ Mühsam nach Atem ringend schleppte der Fremde sie aus dem Friedhof. Alanis konnte in nicht allzu weiter Entfernung ein gesatteltes Pferd erkennen, das anscheinend diesem Fremden gehörte.
Jetzt musste sie handeln, sonst würde sie Melanie nie wieder sehen. Dieser Gedanke verlieh ihr ungeahnte Kräfte. Sie begann zu strampeln und versuchte mit Armen und Beinen nach dem Unbekannten zu treten und zu schlagen. Einige Male erwischte sie ihn, denn sein Schmerzenslaut war nicht zu überhören.
Plötzlich ließ er sie los. Etwas sauste auf sie nieder, sie spürte einen dumpfen Schlag, dann hatte sie den intensiven Geruch nach frischem Blut in der Nase ohne zu wissen warum. Sie wollte sich noch verwundert umdrehen, denn sie war frei, keine Hand hielt sie mehr fest.
„Warum…“ Sie merkte, wie die Beine unter ihr nachgaben, ihr Körper ganz leicht wurde, als wollte er davon fliegen.
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