So schoen und kalt und tot
schwängerte es. Aber Mary merkte wohl, dass sie John nicht wirklich liebte. Sie war ganz einfach zu jung dafür.“
„Wie reagierte ihre Familie denn auf die Schwangerschaft?“ Melanie war verwirrt. Warum nur musste sie dauernd an ihre leibliche Mutter denken, die sie nie wirklich kennen gelernt hatte? Mariah hatte sie geheißen. Das war alles was sie von ihr wusste. Ob es da einen Zusammenhang gab?
Kelab zuckte die Schultern. „Das weiß niemand so genau. Vermutlich nicht sehr erfreut. Deshalb verschwand sie wohl eines Nachts, nahm nur wenige Habseligkeiten mit sich. Wir haben nie wieder etwas von ihr gehört.“
„Das ist eine traurige Geschichte“, meinte Alanis, die sich still zu ihnen gesetzt hatte. „Was wird die arme Mary gelitten haben“, überlegte sie voll Mitleid. „Was wohl aus ihr und dem Kind geworden ist? Ob sie es überhaupt bekommen hat. Vielleicht sind ja beide längst tot.“
Kelab schüttelte den Kopf. „Es wird vermutet, dass sie nach London wollte. Aber niemand weiß, ob sie dort auch wirklich angekommen ist. Möglich ist, dass ihr unterwegs etwas passiert ist oder sie dem Unglück noch ein bisschen nachgeholfen hat. Sie war seit der Geburt ihrer kleinen Schwester schwermütig geworden und hatte oft von ihrem Tod geredet.“
„Das ist ja furchtbar.“ Melanie traten Tränen in die Augen vor Mitleid. Sie hatte ganz vergessen, wo sie sich befand. Vor ihrem geistigen Auge sah sie das unglückliche Mädchen, gerade mal so alt wie Alanis, die mit einem weiteren Familienmitglied überrascht und daraufhin einfach vergessen wird. Wie sehr musste Mary gelitten haben.
„Keiner von der Familie durfte je wieder ihren Namen erwähnen“, fuhr Kelab fort, „und dann sprach Martha, also Lady Mac Pie, diesen entsetzlichen Fluch aus.“
Melanie schüttelte den Kopf. „Ich werde nie verstehen, dass ein Mensch so sehr hassen kann. Sogar die eigene Mutter steht nicht hinter ihrem Kind, wenn es einmal einen Fehler gemacht hat. Dabei hat sie doch diesen Weg selbst mit verursacht. Wie lang ungefähr ist das denn schon her?“ Sie hielt den Atem an. Ein furchtbarer Verdacht stieg in ihr auf, der jedoch noch fast jeder Grundlage entbehrte.
Kelab rechnete nach und musste beide Hände dafür nehmen. Man konnte ihm ansehen, dass es in seinem Kopf arbeitete. Dafür war Melanie umso wacher. „Dreißig Jahre vielleicht? Ich kann es nicht so genau sagen, da müsste ich in den Büchern nachsehen, wie alt Barbara war, als sie starb. Ich hab keine besondere Schulbildung, und mein Gedächtnis ist auch nicht mehr das Beste“, fügte er entschuldigend hinzu.
Das war zwar nicht ganz das, was sie hören wollte, aber wohl oder übel musste sie sich damit zufrieden geben. „Kann ich die Bücher sehen?“, fragte sie.
Kelab nickte. „Aber nicht heute“, fügte er hinzu. „Ich muss sie erst von oben holen.“
„Von oben?“
„Wir haben hier ein Archiv, und wenn Sie mir sagen, welche Jahrgänge Sie möchten, dann werde ich Ihnen das raussuchen. Aber nicht heute, ich mag heute nicht.“ Sein Gesicht verschloss sich. „Ich will jetzt die Kirche zusperren und mit Martha allein sein. Hab ihr noch viel zu erzählen, ehe man sie mir wieder wegnimmt.“
Melanie war überrascht und erschrocken zugleich. Kelab hatte sich plötzlich sehr verändert, war nicht mehr der mitteilungsfreudige Mann von eben sondern ein ganz Fremder. Jetzt war es deutlich sichtbar, dass der Mann nicht mehr ganz richtig im Kopf war, also musste sie befürchten, dass die Geschichten über die Mac Pies, die er erzählt hatte, auch zu einem großen Teil die Phantasien eines verwirrten Gehirns waren.
Hastig erhob sie sich. „Komm, Alanis, wir gehen nach Hause. Hoffentlich regnet es noch nicht.“ Sie nahm die Schwester bei der Hand. „Danke, Mister Kelab“, sagte sie, aber der Mann reagierte nicht. Offensichtlich hatte er sie bereits vergessen.
Als sie an der Tür waren drehten sie sich noch einmal um. Sie sahen den Totengräber vor dem Sarg knien und der Verstorbenen über das Gesicht streicheln. Er schluchzte und bebte am ganzen Körper.
Hastig verließen die Schwestern die kleine Kirche. Sie konnten die Verzweiflung des Mannes kaum ertragen, denn es gab keine Hilfe für ihn, keinen Trost.
„Du denkst, diese Mary Mac Pie war deine Mutter, hab ich Recht?“, fragte Alanis, als sie die Türe hinter sich geschlossen hatten. „Das Schicksal geht
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