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So schwer, sich leicht zu fuehlen

So schwer, sich leicht zu fuehlen

Titel: So schwer, sich leicht zu fuehlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Rosenkranz
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Gott hatte ich immer behalten. Auch wenn der Weg in die Kirche für mich nicht mehr leicht war. Ich konnte es einfach nicht mehr ertragen, wenn alle etwas an mir auszusetzen hatten – so kam es mir jedenfalls vor. Außerdem hatte ich ja wie gesagt Panik vor dem Abendmahl. Das winzige Brotstückchen und der Schluck Wein machten mir echt Probleme! Doch trotz meiner eisernen Disziplin war das ein Punkt, an dem für mich kein Abnehmgesetz mehr galt. Das Einzige, was für mich größer war als meine Krankheit, das war mein Respekt vor Gott. Ich dachte mir immer: „Das Abendmahl wird genommen, um uns an den Tod Jesu für unsere Sünden zu erinnern. Er wurde unter grässlichen Schmerzen ans Kreuz genagelt, um für mich zu sterben. Wie könnte ich da sagen: Nein danke, ich bin auf Diät!“?! Dafür war meine Gottesehrfurcht zu groß.
    Von allen Seiten kamen die Kommentare, dass es jetzt dann reichen würde und ich endlich wieder essen sollte. „Du isst doch gar nichts mehr!“, „Nimm mal etwas zu!“, hieß es ständig. Immer wieder verteidigte ich mich und wurde dabei schon fast böse. Es nervte einfach. Was geht es euch denn an, was ich tue? Es ist mein Leben. Ihr seid doch nur eifersüchtig!
    Auch meine Verwandtschaft machte sich Sorgen um mich. Früher war ich immer das „Pummelchen“ gewesen, das es liebte, von der Oma bekocht zu werden. Wie oft hatte ich an Weihnachten unter dem Tannenbaum gesessen und heimlich die leckere Schweizer Schokolade genascht.
    Meine Cousine und ich waren immer Verbündete gewesen. Doch in diesem Jahr war alles anders. Nicht nur ich war dem Magerwahn verfallen. Auch sie war in dieselbe Falle gerutscht, und so kam es, dass wir beide an unseren Wassergläsern nippten, statt das leckere Essen zu genießen. Und statt zu erkennen, dass ich genauso krank war wie sie, lief ich von Tante zu Tante und sagte Dinge wie: „Habt ihr gesehen, sie sieht echt schlimm aus. Außerdem isst sie gar nichts.“
    Wenn man mich dann fragte, wieso ich denn nichts esse, dann erzählte ich irgendein Zeug, wie, dass wir vorher noch bei McDonald’s gewesen seien. Das stimmte in dem Fall sogar, doch nur meine Brüder hatten dort auch etwas gegessen, während ich mich treu meiner Cola light gewidmet hatte.
    Meine Eltern wussten nicht mehr weiter. Die Sorge stand ihnen ins Gesicht geschrieben. Wenn wir wieder einmal gemeinsam am Tisch saßen und ich einen leeren oder gleich gar keinen Teller vor mir stehen hatte, kullerten meiner Mutter oft Tränen aus den Augen. Sie sah, dass ihre Tochter dabei war, langsam, aber sicher zu verhungern. Sie, zu der ich früher ein so enges Verhältnis hatte, konnte mich nicht mehr erreichen. Ich hatte eine Mauer um mich aufgebaut.
    Was hat sie nicht alles unternommen, um mir zu helfen! Doch jede Möglichkeit, mir das Essen wieder näher zu bringen, nutzte ich nur, um weitere Diät-Tipps zu bekommen. Zum Beispiel sind wir gemeinsam zu diversen Beratungsstunden meiner Versicherung gegangen. Dort sollte eine Ernährungsberaterin mir beibringen, wie eine gesunde Ernährung aussieht. Natürlich hatte sie vorher mit meiner Mutter gesprochen, und es war mir ja auch anzusehen, dass ich krank war. Doch sie nahm mich ernst und behandelte mich wie einen gesunden Menschen.
    So versuchte sie mir beizubringen, dass ich doch einfach alles Mögliche mit Dinkel- statt Weißmehl essen könne, weil ich davon nicht dick werden würde. Dinkelbrot, Dinkelpasta, Dinkelalles. Auch würde es mir gar nicht schaden, ein kleines Stück Schokolade pro Tag zu essen.
    Sie sagte kein Wort zu meinem Gewicht, wofür ich sie am liebsten geküsst hätte. Dadurch gewann sie mein Vertrauen. Ich hatte ein bisschen das Gefühl, eine Freundin gewonnen zu haben.
    Vielleicht lag es auch daran, dass ich direkt im Anschluss an dieses Treffen mit meiner Mutter einkaufen gegangen bin. Dort suchten wir alle Regale nach Dinkelnudeln ab. Wie lange schon hatte ich Lust auf Pasta gehabt! Spaghetti Bolognese – was für ein Traum! Natürlich ohne Fleisch und ohne angebratene Zwiebeln. Denn das hätte ja bedeutet, dass Öl verwendet werden müsste.
    Es durfte auch nicht jede Tomatensauce sein. Am liebsten wollte ich nur passierte Tomaten. Okay, vielleicht doch einfach nur die puren Nudeln. Aber schon allein dafür hätte ich in dem Moment alles gegeben.
    Doch als wir den Heimweg

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