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So schwer, sich leicht zu fuehlen

So schwer, sich leicht zu fuehlen

Titel: So schwer, sich leicht zu fuehlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Rosenkranz
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aufgeschwemmt wäre, dass ich noch fetter aussah!
    Meine Mutter war am Ende ihrer Kräfte und ihrer Weisheit. Ich konnte förmlich spüren, wie dünn ich war, wenn sie mich ansah. Doch das war für meine Wahrnehmung noch nicht dünn genug. Ich musste nur noch ein wenig abnehmen, um so schlank zu sein wie alle anderen, sagte ich mir. Dabei war ich zu dem Zeitpunkt schon so erschreckend dürr geworden, dass sich die Menschen auf der Straße nach mir umsahen.
    Tagebucheintrag, 22. Juni 1997
    Seit ich abgenommen habe, höre ich nur noch: „Oh, bist du zerbrechlich“, „Du klappst ja gleich zusammen“ oder: „Was willst du denn im Fitness-Center?“. Es stimmt, ich bin nicht mehr die alte Déborah, aber ich will mir alle Mühe geben, wieder so zu werden. Deshalb bräuchte ich jemanden, mit dem ich reden kann und der mich ermutigt (dabei waren damals viele Leute da, um mit mir zu reden und mir zu helfen, doch ich habe es nicht wahrgenommen und mich verschlossen) . Eine Freundin ist mit 35 kg (1,65 m) ins Krankenhaus eingeliefert worden. Das macht mir schon Angst, denn bei 1,70 m hab ich heute Morgen noch 47 kg gewogen. Heute Mittag habe ich nach dem Essen noch Kekse gefuttert und jetzt bin ich auf 49 kg. Mama will, dass ich bis zur Tour 2 kg zunehme. Sie denkt, ich wiege 50 kg. Das heißt, ich muss auf 52 kg.
    Ich konnte nicht anders – als meine Mutter mich vor der Tour wiegen wollte, hatte ich leicht an der Waage gedreht, wir hatten damals zum Glück noch keine elektronische Waage. Außerdem hatte ich mir noch Steine in die Hosentaschen gesteckt und so viel Wasser getrunken, wie ich konnte. Ja, die zwei Kilo waren drauf und ich durfte auf die Tour, auch wenn meine Mutter mich skeptisch ansah. Ich hasste es, sie zu belügen. Was war nur aus mir geworden?
    Aber diese Tourneen waren mein Leben! Ich hätte alles getan, um dabei zu sein! Mit 9 Jahren hatte ich das erste Mal davon gehört. Das Mindestalter für solch eine Tournee war eigentlich 14, doch ich reichte meine Bewerbung mit 11 ein, da ich es einfach nicht mehr aushielt! Ich wollte singen, ich wollte tanzen!
    Und tatsächlich erhielt ich ein Schreiben: „Liebe Déborah, aufgrund deines Auftretens und deiner Fähigkeiten als Sängerin haben wir beschlossen, dir eine Sondergenehmigung zu erteilen.“ An diesem Tag schrie ich vor Freude durch das ganze Haus!
    Doch solch eine Tournee kostet sehr viel Geld, und ich musste mir dafür schon in diesem jungen Alter einen Job suchen! Zuerst trug ich nur Zeitungen aus, doch das hätte vorne und hinten nicht gereicht. In meiner Nachbarschaft lebte ein alter, einsamer Mann, dessen Sohn kaum Zeit hatte, sich um ihn zu kümmern. So übernahm ich das. Ich musste ihm täglich das Essen richten, einmal in der Woche das Haus durchputzen, mit ihm spazieren gehen, ihm vorlesen und einfach für ihn da sein. Ich mochte diesen Mann, doch er hatte einen Schlaganfall erlitten und konnte sich kaum noch verständigen. Es machte mir ein bisschen Angst, allein mit ihm in einem Haus zu sein. Jedes Mal, wenn ich die Haustür aufschloss, hoffte ich, dass er noch lebte. Ich bekam von seinem Sohn immer Geld, um seine Einkäufe zu erledigen und besorgte ihm dann die extra fettigen Sahnetorten, die er so liebte. Es war für mich der pure Genuss zu sehen, wie andere die Dinge aßen, die ich mir aufgrund des hohen Kaloriengehaltes verboten hatte.
    Mein Job war sehr anstrengend, und während meine Freundinnen stundenlang über Jungs oder die neuste Mode sprachen oder Eis essen gingen, kümmerte ich mich um diesen alten Mann. Doch auf der anderen Seite freute ich mich immer darauf, bei ihm fernsehen zu können. Zuhause hatten wir keinen Fernseher, aber ich wollte unbedingt auf dem Laufenden sein, wenn es um Musik ging. So schaute ich mit dem alten Mann zusammen Viva und MTV.
    Das Probencamp fand jedes Jahr in Holland statt. Mittlerweile war ich dort ja keine Unbekannte mehr. Immerhin war ich die Schwester von Samuel, der sämtliche Tourneen mitgemacht hatte und bei allen beliebt war, weil er immer ein Lächeln im Gesicht hatte. Man nannte uns „die lächelnden Geschwister“ und mein Spitzname lautete „Sunshine“, weil ich immer so fröhlich zu sein schien.
    Doch als sie mich in diesem Jahr sahen, waren alle schockiert! Sie mussten zweimal hinsehen, um zu glauben, dass ich es war! Keiner wusste, was er

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