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So soll er sterben

Titel: So soll er sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Rankin
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geben.«
    Davidson hatte sich an den Rat gehalten, und bislang war die Rechnung aufgegangen. Bei fast jeder Bemerkung des Ehepaars nickte Reynolds beifällig.
    »Das liegt irgendwie am Aufeinandertreffen der verschiedenen Kulturen«, hatte er an einer Stelle verständnisvoll geäußert. Oder: »Ich bin mir sicher, wir alle verstehen Ihren Standpunkt.«
    In dem Raum herrschte klaustrophobische Enge. Rebus bezweifelte, dass die Fenster jemals geöffnet worden waren. Sie hatten Doppelglasscheiben, aber zwischen den beiden Scheiben hatte sich Kondenswasser gebildet und Flecken hinterlassen, die wie getrocknete Tränen aussahen. Ein elektrisches Kaminfeuer brannte. Die Glühbirnen, die sonst den Eindruck glimmender Holzscheite erweckten, waren offenbar durchgebrannt, sodass das Zimmer noch düsterer wirkte. Es gab eine Sitzgruppe, bestehend aus einem riesigen braunen Sofa, eingerahmt von zwei klobigen braunen Sesseln. Auf Letzteren machten es sich die Eheleute bequem. Sie hatten den Polizisten weder Tee noch Kaffee angeboten. Während der Befragung hatte Rebus die meiste Zeit vor dem Wohnzimmerschrank gestanden und betrachtet, was auf den Regalbrettern stand. Videokassetten: romantische Komödien für die Frau, obszöne Stand-up-Comedians und Fußball für den Mann. Die Hüllen einiger Kassetten verrieten auf den ersten Blick, dass es sich um Raubkopien handelte. Es gab auch ein paar Taschenbücher: Schauspielerbiographien und ein Diätratgeber, der angeblich »das Leben von fünf Millionen Menschen verändert« hatte. Fünf Millionen: in etwa die Bevölkerung Schottlands. Rebus konnte nicht erkennen, dass das Leben auch nur einer der anwesenden Personen dadurch eine Wandlung erfahren hatte.
    Die zentrale Aussage war: Das Opfer hatte nebenan gewohnt. Nein, sie hatten sich nie mit ihm unterhalten, ihm bloß gesagt, er solle leise sein. Wieso? Weil er manchmal nachts aus vollem Hals schrie. Und zu allen möglichen Zeiten war er laut stampfend hin und her gelaufen. Sie wussten nicht, ob er Freunde oder Verwandte besaß, und hatten auch nie gehört oder gesehen, dass ihn jemand besuchte.
    »Wissen Sie, bei dem Lärm, hätte da drüben gut und gern eine von diesen Tanzgruppen mit Holzschuhen üben können.«
    »Laute Nachbarn sind etwas Furchtbares«, stimmte Reynolds ohne einen Hauch von Ironie zu.
    Viel mehr war nicht zu erfahren. Die Wohnung hatte vor seinem Einzug eine Weile leer gestanden, und sie waren sich nicht ganz sicher, seit wann er dort gewohnt hatte… etwa seit einem halben Jahr. Nein, sie wussten nicht, wie er geheißen und ob er irgendwo gearbeitet hatte –»Jede Wette, dass er nicht gearbeitet hat… das sind doch alles Schmarotzer.«
    Nach dieser Bemerkung ging Rebus hinaus, um eine Zigarette zu rauchen, sonst hätte er zwangsläufig die Frage gestellt: »Und was für einen Beitrag leisten
Sie
zum Bruttosozialprodukt?« Als er den Blick über die Siedlung schweifen ließ, dachte er: Ich habe noch keinen einzigen dieser Menschen gesehen, auf die man hier so wütend ist. Er vermutete, dass sie sich hinter verschlossenen Türen vor dem Hass verbargen und versuchten, eine eigene Gemeinschaft aufzubauen. Sollten sie damit jedoch Erfolg haben, würde der Hass noch zunehmen.
    »In Augenblicken wie diesen bedaure ich, dass ich nicht rauche«, sagte Siobhan, die sie sich zu ihm gesellt hatte.
    »Nie zu spät, damit anzufangen.« Er griff in seine Tasche, aber sie schüttelte den Kopf.
    »Etwas Ordentliches zu trinken wäre aber nicht schlecht.«
    »Also etwas anderes als das Zeug, das Sie gestern Abend bestellt haben?«
    Sie nickte. »Am besten bei mir zu Hause… in der Badewanne… dazu vielleicht Kerzenlicht.«
    »Glauben Sie, dass Sie solche Leute einfach wegwaschen können?« Rebus deutete auf die Wohnung.
    »Keine Sorge, ich weiß, dass das nicht funktioniert.«
    »Gehört alles zur Vielfalt menschlichen Lebens, Shiv.«
    »Eine wirklich beruhigende Feststellung.«
    Die Fahrstuhltüren öffneten sich. Erneut Uniformierte, aber von einer anderen Truppe: Helme und kugelsichere Westen. Sie waren zu viert und darauf spezialisiert, Furcht einflößend zu wirken. Man hatte sie vom Dezernat Serious Crimes angefordert. Es handelte sich bei ihnen um die Drug Squad, und ihr wichtigstes Handwerkszeug war: der so genannte »Schlüssel«, ein Eisenrohr, das als Rammbock diente. Seine Aufgabe war, ihnen auch zu festungsartig gesicherten Dealerwohnungen so schnell Zutritt zu verschaffen, dass kein Beweismaterial im Klo

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