So soll er sterben
doch sicher darüber informieren, dass Sie ihn kannten?«
»Ich kannte ihn nicht; ich kenne seine Frau und seine Kinder.«
»Sie hatten nie mit ihm zu tun? Hat er nie versucht, seiner Familie eine Nachricht zukommen zu lassen?«
Dirwan schüttelte den Kopf. »Nicht durch mich. Ich würde keinen Moment zögern, es Ihnen mitzuteilen.« Er blickte Rebus in die Augen. »Da müssen Sie mir vertrauen, John.«
»Nur meine besten Freunde nennen mich John«, sagte Rebus mit warnendem Unterton, »und Vertrauen muss man sich verdienen, Mr. Dirwan.« Er legte eine Pause ein, um seine Worte wirken zu lassen. »Sie wussten nicht, dass er in Edinburgh war?«
»Nein.«
»Aber Sie haben für seine Frau gearbeitet?«
Der Anwalt nickte. »Es ist eine Schande: Wir bezeichnen uns als zivilisiert, aber wir haben kein Problem damit, diese Frau und ihre Kinder in Whitemire verrotten zu lassen. Sind Sie dort gewesen?« Rebus nickte. »Dann wissen Sie Bescheid – keine Bäume, keine Freiheit, das absolute Minimum an Ausbildung und Verpflegung…«
»Was für unseren Fall nichts zur Sache tut«, fühlte sich Rebus verpflichtet zu sagen.
»Gott, ich kann nicht glauben, dass Sie das gerade gesagt haben! Sie konnten doch mit eigenen Augen sehen, wohin der Rassismus in diesem Land führt.«
»Die Singhs scheinen davon nicht betroffen zu sein.«
»Das Lächeln auf ihren Gesichtern bedeutet gar nichts.« Plötzlich hielt er inne und rieb sich den Nacken. »Ich sollte nicht so viel Tee trinken. Erhitzt das Blut, wissen Sie.«
»Hören Sie, ich bin dankbar für Ihre Hilfe, dass Sie mit all diesen Leuten sprechen…«
»Apropos, möchten Sie wissen, was ich herausgefunden habe?«
»Natürlich.«
»Gestern bin ich den ganzen Abend von Tür zu Tür gegangen, und genauso heute Morgen… Natürlich hatte nicht jeder etwas Wichtiges zu sagen, und nicht alle wollten mit mir sprechen.«
»Trotzdem danke, dass Sie es versucht haben.«
Dirwan nahm den Dank mit einem Kopfnicken entgegen. »Wussten Sie, dass Stef Yurgii in seiner Heimat Journalist war?«
»Ja.«
»Die Leute hier – diejenigen, die ihn kannten – wussten es nicht. Er hatte ein Talent dafür, Leute kennen zu lernen, sie zum Sprechen zu bringen – liegt wohl in der Natur eines Journalisten, nicht?«
Rebus nickte.
»Stef hat sich mit den Leuten über ihr Leben unterhalten«, fuhr der Anwalt fort. »Er hat viele Fragen gestellt, ohne selbst viel von seiner eigenen Vergangenheit preiszugeben.«
»Sie glauben, er wollte darüber schreiben?«
»Möglich wär’s.«
»Was ist mit der Freundin?«
Dirwan schüttelte den Kopf. »Niemand scheint sie zu kennen. Wahrscheinlich wollte er ihre Existenz geheim halten, schließlich hatte er eine Familie in Whitemire.«
Rebus nickte erneut. »Noch etwas?«, fragte er.
»Bis jetzt nicht. Soll ich noch weiter Klinken putzen?«
»Es ist öde, ich weiß…«
»Aber nein, ganz und gar nicht! Ich kriege langsam ein Gefühl für die Gegend hier, und ich begegne Menschen, die vielleicht Interesse daran haben, ein eigenes Kollektiv zu gründen.«
»Wie das in Glasgow?«
»Ganz genau. Wir sind stärker, wenn wir gemeinsam agieren.«
Rebus dachte darüber nach. »Na dann, viel Glück – und noch einmal danke.« Er schüttelte Dirwans ausgestreckte Hand, unschlüssig, wie weit er dem Mann trauen konnte. Immerhin war er Anwalt, und er verfolgte seine eigenen Interessen.
Jemand kam auf sie zu. Sie mussten beiseite treten, um ihn passieren zu lassen. Rebus erkannte den Jugendlichen von gestern, den mit dem Stein. Der Junge warf den beiden einen Blick zu, augenscheinlich ohne sich recht entscheiden zu können, wer von beiden am meisten Verachtung verdiente. Er blieb vor den Aufzügen stehen und drückte auf den Knopf.
»Ich hab gehört, du stehst auf Tätowierungen!«, rief Rebus. Er nickte Dirwan zu, um ihm zu signalisieren, dass ihr Gespräch beendet war. Dann ging er zu dem Jungen, der einen Schritt zur Seite trat, als fürchte er sich vor einer Ansteckung. Genau wie der Junge behielt auch Rebus die Aufzugtüren im Blick. Derweil klopfte Dirwan ohne Erfolg bei 203 und ging weiter, um es bei 204 zu versuchen.
»Was wollen Sie?«, brummelte der Junge.
»Guten Tag sagen, mehr nicht. Menschen tun so was, weißt du: Sie sprechen miteinander.«
»Scheiß drauf.«
»Und sie tun sogar noch mehr; sie akzeptieren die Meinung anderer. Schließlich sind wir alle unterschiedlich.« Ein schwaches Klingeln ertönte, und die Türen des linken Aufzugs
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