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So sollst du schweigen: Roman (German Edition)

So sollst du schweigen: Roman (German Edition)

Titel: So sollst du schweigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clara Salaman
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hervor.
    O ja, Lorrie war ein Mädchen, das fluchen konnte.
    Ich würde nicht zulassen, dass Miss Fowler gewann. Wenn es nach mir ging, konnte sie in der Hölle schmoren. Es war mir egal, wenn sie als Made oder als Skorpion wiedergeboren wurde. Ich würde bis zum bitteren Ende kämpfen, bis ich aus nichts als Verwesungsbakterien bestand.
    Vorsichtig öffnete ich die Toilettentür und hielt Ausschau nach dem Judy-Garland-Mann. Sein Wagen stand noch vor dem Haus, doch von ihm war weit und breit nichts zu sehen. Vorsichtig schlich ich mich hinaus und lief los. Dann würde ich eben den Bus oder den Zug nach Paris nehmen.
    Als ich außer Sichtweite des Cafés war, drosselte ich mein Tempo und schlug den Weg Richtung Zentrum ein, während ich die Straße nach einer Drogerie absuchte, wo ich hoffentlich Binden kaufen konnte. Aber ich konnte keinen Laden entdecken.
    Die ganze Zeit über warf ich immer wieder einen Blick über die Schulter, weil ich das dumpfe Gefühl hatte, dass mir jemand folgte.
    Nach einer scheinbaren Ewigkeit kam ich an einem Schild Richtung Bahnhof vorbei, der sich allerdings als reichlich klein entpuppte und mit keinem der Bahnhöfe in London vergleichbar war. Im ersten Moment bemerkte ich den Mann hinter dem Schalter nicht. Er war riesig und behaart und saß hinter einem winzigen Schalter, wie ein Gorilla in einem Einkaufskorb. Dennoch war er derjenige, der mich anstarrte, als wäre ich eine Monstrosität aus dem Zirkus. Ich überprüfte meinen Pullover, um sicher zu sein, dass das Blut nicht durchgesickert war, ehe ich mich vor eines der Plakate stellte und so tat, als würde ich es studieren.
    Dann trat ich entschlossen vor den Schalter.
    »Ticket nach Paris«, sagte ich mit meinem besten französischen Akzent.
    Er schüttelte den Kopf und ließ einen Wortschwall auf mich niedergehen, während er auf einen Fahrplan zeigte und ein paar Ziffern einkreiste, die ich nicht recht zuordnen konnte, da man von allem zwölf abziehen musste, um die korrekte Zeit zu errechnen. Offen gestanden war es mir ziemlich egal, wohin ich fuhr. Also kaufte ich irgendeine Fahrkarte. Er hielt beide Hände in die Höhe und spreizte die Finger, was wahrscheinlich bedeuten sollte, dass der Zug in zehn Minuten abfuhr.
    Ich schlenderte zum Bahnsteig und sah zwei Züge vorbeirauschen. Die französischen Züge waren schnell wie Raketen. Sollte man sich entschließen, sich davorzuwerfen, wäre man in Sekundenbruchteilen tot. Allmählich tauchten noch mehr Leute auf. Nach exakt zehn Minuten sprang ein Licht von Grün auf Rot, und ein Zug kam in gedrosseltem Tempo angefahren. Ich spielte mein gewohntes Spielchen und trat so dicht an die Bahnsteigkante, wie es nur ging, während die nahezu menschenleeren Waggons an mir vorbeiglitten. Im Vergleich zu London erfreute sich Zugfahren in Frankreich scheinbar keiner sonderlich großen Beliebtheit.
    Vor dem Einsteigen ließ ich den Blick noch einmal über den Bahnsteig schweifen, für den Fall, dass mir jemand gefolgt war. Dann setzte ich mich möglichst weit von einem alten Ehepaar in den vorderen Teil des Waggons und schob meine Tasche unter den Sitz. Mit baumelnden Beinen wartete ich ungeduldig, dass der Zug endlich losfuhr. Los, fahr schon. Ein Mann in einem beigen Mantel, der genauso aussah wie der meines Vaters, stieg ein und warf mir einen kurzen Blick zu, ehe er in der Reihe hinter mir Platz nahm. Er sah genauso aus, wie man sich einen Polizisten in Zivil vorstellte.
    Ich stand auf und suchte mir einen Platz auf der anderen Seite des Gangs, was ihn jedoch nicht weiter zu interessieren schien. Als der Zug sich endlich in Bewegung setzte, fühlte ich mich zum ersten Mal seit meiner Flucht aus London halbwegs sicher. Ich ließ den Kopf gegen die Scheibe sinken und versuchte, über mein weiteres Vorgehen nachzudenken, doch das rhythmische Rattern schläferte mich offenbar ein. Allerdings konnte ich es nicht genau sagen, denn ich träumte, ich täte genau das, was ich im Moment tat – in einem Zug sitzen und aus dem Fenster sehen. Nur dass es in meinem Traum keinerlei Geräusche gab, sondern absolute Stille herrschte. Und die Szenerie war ebenfalls vollkommen anders – felsig und bedrohlich. Der Zug drosselte sein Tempo, als er mitten durch eine Stadt mit einem belebten Marktplatz voller Menschen fuhr, die sich im Zeitlupentempo bewegten, so wie in Megans Schilderung aus Der Sechs-Millionen-Dollar-Mann . Einer nach dem anderen hielt mitten in seiner Tätigkeit inne und wandte sich

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