So sollst du schweigen: Roman (German Edition)
Mal wurde mir alles zu viel. Ich ließ die Stirn gegen die weißen Fliesen sinken und begann zu schluchzen. Natürlich genügte es nicht, Miss Fowler zu töten. So einfach würde sie nicht aufgeben. O nein. Sie beobachtete mich, verfolgte mich, verfluchte mich. Sie hatte ein Loch in meinen Bauch gerissen und dafür gesorgt, dass ich wie verrückt blutete.
Ich begann, mit dem Kopf gegen die Fliesen zu schlagen, zuerst behutsam, dann immer fester. Ich hasste sie. Ich hasste sie.
Hör auf! Das war Lorrie. Denk nach. Denk nach. Hör auf zu heulen, du alberner Kindskopf. Reiß dich zusammen. Iss etwas. Und sieh zu, dass du von hier wegkommst.
Ich zwang mich, aus der Dusche zu treten, trocknete mich ab und säbelte mit der Nagelschere das saubere Handtuch in Fetzen, so dass ich sie wie Windeleinlagen in mein Höschen legen konnte. Innerhalb weniger Minuten hatte ich meine Sachen zusammengepackt, den Blutfleck auf der Matratze mit der Hotelbroschüre abgedeckt und ging in aller Seelenruhe hinunter zum Frühstück.
Höflich lächelte ich der Frau zu, als sie mir eine Tasse heiße Schokolade und ein Croissant servierte, auch wenn ich fand, dass sie mich reichlich argwöhnisch beäugte. Vielleicht war sie ja oben in meinem Zimmer gewesen und hatte die Schweinerei in meinem Zimmer entdeckt. Bitte, lieber Gott, mach, dass sie mich nicht bei der Polizei meldet. Nun da ich blutete, würden die Hunde in Windeseile meine Spur aufnehmen können.
Ich schlang das Croissant hinunter, bezahlte die Rechnung bei ihrem Mann an der Rezeption, verstaute meinen Pass und verließ das Hotel, so schnell ich konnte.
Es war ein klarer, windiger Tag, und es fühlte sich gut an, wieder in Bewegung zu sein. Ich trat auf die Straße, wurde allerdings um ein Haar von einem Auto überfahren, das wie eine Schubkarre aussah. Der Fahrer hupte und schrie mir irgendetwas durchs Wagenfenster zu. Kein guter Anfang.
Während ich leicht nervös der Straße folgte, fasste ich einen Entschluss. Als Erstes musste ich nach Paris. Dort würde ich mir ein kleines Zimmer in der Nähe von Notre Dame mieten und in einem Restaurant mit schwarzweiß gefliestem Boden einen Job als Kellnerin annehmen. Vielleicht würde ich ja tanzen lernen wie diese Frauen mit den Rüschenpumphosen; dann könnte ich vor einem Glas Wein in irgendwelchen Cafés herumsitzen und trübselig aus dem Fenster starren. In regelmäßigen Abständen würde ich – nach einem Bad in einer winzigen Zinkwanne – ins Ballett gehen oder einen Ausflug auf die Pferderennbahn machen. Alles, was ich über Paris wusste, stammte aus einem Buch über die französischen Impressionisten von Kates Eltern. Mr Wapinski billigte die Impressionisten nicht – er hielt sie für sentimental und oberflächlich. Für ihn gab es nur die Renaissance. Aber Mr Wapinski konnte mir mit seiner Renaissance gestohlen bleiben. Er war nicht länger Teil meines Lebens. Oh, ja, Lorrie Fischer fand Mr Wapinski verabscheuungswürdig.
Inzwischen stand ich auf einer Zubringerstraße, die lediglich durch eine Baumreihe von der Autobahn getrennt war. Ich blieb stehen, stellte meine Tasche auf den Boden und streckte in, wie ich hoffte, angemessener Trampermanier – freundlich, zugleich aber erfahren – den Daumen aus. Ein Lasterfahrer drosselte das Tempo und hupte, hielt jedoch nicht an.
Ich hoffte auf ein Wiedersehen mit dem knutschenden Pärchen vom Vorabend, damit wir uns zusammentun und als Trio weiterreisen konnten. Eines Tages wäre ich vielleicht einmal genauso verliebt wie sie und würde mit derselben Selbstverständlichkeit mitten auf der Straße stehen bleiben und ungeniert knutschen. Mr Steinberg hatte eine Freundin. Bestimmt knutschten sie ebenfalls. Vielleicht machten sie es auch. Die Vorgaben der Organisation waren sehr streng, was es betraf: Man musste bis zur Hochzeit damit warten. Ich hoffte und betete insgeheim, Mr Steinberg möge sie nicht heiraten. In ein paar Jahren könnte ich ihm kryptische Postkarten von all jenen Orten schreiben, zu denen ich getrampt war, die er dechiffrieren konnte, um mir dann nachzureisen. Aber mir war klar, dass das niemals passieren würde. Mein altes Leben lag hinter mir. Es war vorbei.
Ein glänzender schwarzer Wagen mit verchromten Felgen hielt neben mir an. Die Scheiben waren getönt, so dass ich den Fahrer nicht erkennen konnte, sondern lediglich die Reflexion meines eigenen Gesichts. Für den Bruchteil einer Sekunde betrachtete ich bewundernd meine Baseballjacke,
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