So sollst du schweigen: Roman (German Edition)
dann wurde die Scheibe einen Spalt heruntergelassen, so dass mir eine Wolke aus Zigarettenrauch, Aftershave und Leder entgegenschlug. Durch die Schwaden machte ich einen elegant aussehenden Mann mittleren Alters mit einer Zigarette im Mundwinkel aus, der sich in meine Richtung beugte und irgendetwas Unverständliches zu mir sagte. Einen Moment lang lauschte ich überrascht dem Kauderwelsch, ehe mir bewusst wurde, dass die Leute in Frankreich normalerweise kein Englisch sprachen.
Ich quittierte seine unverständliche Einladung mit einem eifrigen Nicken und erwiderte: »Paris.«
»Paris?« Er lachte, sagte wieder etwas und drohte mir mit dem Finger. Ich zuckte die Achseln. Im Grunde war mir egal, wohin ich fuhr, solange es nur weit weg von der Polizei und den Hunden war.
Er öffnete die Beifahrertür. Ich stieg in seinen makellos sauberen Wagen und stellte meine Tasche auf den Boden unter den cremefarbenen Ledersitz. Dann fuhr er los und redete weiter. Ich nickte hin und wieder, doch meine Aufmerksamkeit wurde schon bald von seiner Hand auf dem Schaltknüppel angezogen. Seine Haut war milchig-weiß und seidig, mit auffallend perfekt geformten und sorgfältig manikürten Fingernägeln wie bei einer Frau. Wann immer er eine kurze Sprechpause machte, hob ich den Kopf und sagte: »Oui.«
»Englisch«, erklärte ich nach einer besonders langen Pause und fügte hinzu: »Ursprünglich Amerikanerin.«
» Américaine ?«
Das schien ihm sehr zu gefallen. Er lächelte mich an und entblößte dabei ein reichlich schiefes Gebiss, ehe er die Hand ausstreckte. Im ersten Moment glaubte ich, er wolle mein Bein tätscheln, doch stattdessen griff er darüber hinweg ins Handschuhfach und nahm eine Kassette heraus. »Judy Garland« stand unter dem Foto einer traurig dreinblickenden Frau. Ich nickte lächelnd, als wäre sie eine uralte Lieblingssängerin von mir, woraufhin er die Kassette einlegte.
Die Musik war wunderschön. Augenblicklich fühlte ich mich besser. Judy Garlands Gesang vermittelte das Gefühl, als wohne der Einsamkeit eine gewisse Würde inne.
Wir fuhren durch eine scheinbar endlose, flache Landschaft, lediglich durch Dörfer mit hässlichen Bungalows durchbrochen. Immer wieder ragte ein spitzer Kirchturm gen Himmel, der Hoffnung auf mehr machte. In Wahrheit war Frankreich bei Weitem nicht so romantisch, wie ich es mir vorgestellt hatte. Die Leute und die Autos wirkten genauso öde und trübselig wie in England. Außerdem war es nicht einmal ansatzweise so heiß, wie sie einen immer glauben machten.
Als wir durch den Vorort einer Kleinstadt fuhren, wandte sich mein Fahrer zu mir und machte Essgebärden. Er bog auf den Parkplatz eines Cafés, überprüfte sein Spiegelbild und strich sich über sein sorgfältig frisiertes Haar, ehe wir ausstiegen.
Er sah es als Erster – das Schlachtfest auf dem Beifahrersitz, das Blutbad auf dem cremefarbenen Leder. Ich hatte alles vollgeblutet.
Entsetzt schnappte ich nach Luft und fing über das Wagendach hinweg seinen Blick auf. Er sah aus, als müsse er sich gleich übergeben.
»Es tut mir so leid!«, stieß ich hervor. Beim Anblick seiner angeekelten Miene wäre ich am liebsten vor Scham im Boden versunken. Ich kramte meine Tasche hervor und spurtete zum Restaurant, während mir die Tränen über die Wangen liefen.
»Toilette?«, fragte ich den ernst dreinblickenden, pickligen Jungen hinter dem Tresen, woraufhin er auf eine Tür zu seiner Linken deutete. Am liebsten hätte ich mich in einem Loch verkrochen und wäre gestorben. Und genau das tat sich auch vor mir auf, als ich die Tür zur Toilette öffnete. Ein dunkles, stinkendes Loch mitten im Fußboden anstelle einer Toilettenschüssel.
Ich lehnte mich mit dem Rücken gegen die Tür und presste mir die Hand vor den Mund, um mein Schluchzen zu unterdrücken, während ich mein fleckiges Gesicht in dem alten, halb blinden Spiegel erblickte. Ich riss mir die Jeans herunter und säuberte mich notdürftig. Dann legte ich ein paar frische Handtuchstreifen in mein Höschen, doch die Jeans waren ruiniert, also band ich mir den Pullover um die Hüften, um die Schweinerei so gut es ging zu kaschieren. Wie viel Blut kann man mit einem Fluch fließen lassen? Und für wie lange?
Ich trocknete meine Tränen und sah mich im Spiegel an. Die Polizei würde mich nicht als Caroline Stern erkennen. Lorrie Fischer sah ganz anders aus als sie. Und sie war härter im Nehmen.
»Ich scheiß auf dich, Fowler! Ich scheiß auf dich!«, stieß ich
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