So sollst du schweigen: Roman (German Edition)
ich den Park erreichte, hob ich einen Ast vom Boden auf, den der Sturm abgerissen hatte, und fuhr herum – bereit, mich zu verteidigen.
Nichts. Sie waren verschwunden. Offenbar versteckten sie sich. Japsend suchte ich mit den Augen jeden Winkel, jede Gasse, jeden geparkten Wagen, jeden Baum ab, in der Erwartung ihres Angriffs. Ich wusste genau, was sie tun, wie sie sich auf mich stürzen würden. Sie würden mir ihre rasiermesserscharfen Krallen in die Haut treiben und sie abziehen wie von einem Apfel.
Den Ast fest mit beiden Händen umklammernd, taumelte ich weiter, pitschnass, jedoch hellwach und im Begriff, jederzeit loszuschlagen.
Beim Anblick der öffentlichen Toiletten wusste ich auf der Stelle, dass sie das perfekte Versteck für mich waren – eine kleine Hütte mit nur einer Tür. Eilig lief ich hinein, schlug die Tür zu und lehnte mich mit dem Rücken dagegen, während ich meinen abgehackten Atemzügen lauschte. Es war stockdunkel. Mit dem Fuß trat ich jede Kabine auf und schlug mit dem Ast auf sämtliche Toilettenschüsseln, nur für den Fall, dass sie schneller gewesen waren als ich. Doch die Toilette war leer.
Beim Erklimmen der Uferböschung war ich im Schlamm ausgerutscht, der nun klamm und kalt überall an meinem Körper klebte. Lange Zeit blieb ich an der Tür stehen, noch immer kampfbereit mit dem Ast in beiden Händen. Und dann, gerade als die Straßenlampen in den frühen Morgenstunden erloschen, kamen sie. Ich hörte das Zischeln ihres Haars. Sie hatten sich vor der Toilette versammelt. Klick, klick, zischel, zischel. Ich erhob mich, stellte mich neben die Tür, und als die Erste hereinkam, ließ ich den Ast mit voller Wucht auf ihren Kopf herabsausen. Blut spritzte aus dem Spalt in ihrem Schädel an die Wände. Ich spürte es auf meinem Gesicht, warm und dick.
Ich schlug ein zweites Mal zu.
Ich hatte keine Ahnung, wo ich war. Nichts kam mir auch nur ansatzweise bekannt vor. Ich trug ein viel zu knappes hellgrünes Nachthemd, das kaum meine Blöße bedeckte und mir ständig über die Schulter rutschte, doch das kümmerte mich nicht weiter. Darunter war ich nackt. Ich trug nicht einmal Schuhe, sondern nur das Nachthemd.
Im Schneckentempo ging ich eine Treppe hinunter, als hätte ich gerade erst laufen gelernt. Obwohl der Fußboden auf den ersten Blick grau war, erkannte ich rote und blaue Sprenkel darin, wie winzige Edelsteine im Vulkansand. Mein Kopf fühlte sich bleiern an, und ich richtete meinen Blick auf die schwieligen Fersen der Füße, die vor mir durch den grauen Vulkansand schlurften. Schwerfällig hob ich den Kopf und erblickte den pickligen Nacken eines Mannes vor mir. Auch vor ihm gingen Leute her. Wir alle trugen dieselben hellgrünen Nachthemden und schleppten uns die Treppen hinunter.
In der Luft hing der Geruch nach Chlor und Bleichmittel, so wie in den Umkleidekabinen des Schwimmbads an der Park Road, nur dass ich hier nicht in der Park Road war. Wenigsten das wusste ich. Vielleicht hatte man mich ja zur Organisation zurückgeschickt, aber das konnte ich mir nicht vorstellen. Ich erkannte niemanden, ebenso wenig wie das Gebäude, möglich wäre es jedoch: dasselbe Schweigen, lediglich durchbrochen vom Schlurfen unserer Schritte.
Am unteren Treppenabsatz stand eine dicke Frau mit einer weißen Schürze und einem Klemmbrett in der Hand. Sie kam mir irgendwie bekannt vor, doch ich konnte mich nicht erinnern, ob ich sie leiden konnte oder nicht, und es erschien mir unendlich mühsam, darüber nachzudenken. Leises Schluchzen drang an meine Ohren. Unter Aufbietung all meiner Willenskraft drehte ich mich um. Es kam aus dem Mund der Frau hinter mir, deren eine Brust ihr aus dem Nachthemd hing und nur wenige Zentimeter über ihrem Nabel und direkt auf Augenhöhe mit mir baumelte.
Langsam drehte ich mich wieder um und folgte den anderen. Wir bogen um eine Ecke. Bis auf das Schluchzen war es sehr still auf dem Korridor. Die Fenster befanden sich sehr weit oben, so dass nichts als grauer Himmel zu erkennen war. Weit und breit kein einziger Farbklecks.
Als Nächstes ging es eine weitere Treppe hinunter und einen scheinbar endlosen Gang entlang. Wir bewegten uns unendlich langsam und leicht watschelnd vorwärts, wie eine Herde Enten. Mittlerweile mussten wir im Keller des Gebäudes angelangt sein. Hier unten gab es keine Fenster mehr.
Die dicke Frau mit der weißen Schürze brachte die Kolonne zum Stehen. Sie brauchte nicht einmal etwas zu sagen, sondern wir blieben einfach
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