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So sollst du schweigen: Roman (German Edition)

So sollst du schweigen: Roman (German Edition)

Titel: So sollst du schweigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clara Salaman
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Du hättest keine Ahnung, wer sie sei. Du hast gesagt, du hättest in deinem ganzen Leben keine Amy gekannt.«
    Das Herz schlug mir bis zum Hals. Ich blies Rauch aus dem Fenster.
    »Das stimmt auch«, sagte ich. Es klang erbärmlich.
    »Ach ja? Und warum hast du dann geschrien: ›Amy! Amy! Um Himmels willen, Amy, wir müssen hier raus! Amy! Amy! Amy! Du darfst hier nicht sitzen bleiben!‹«
    Scheiße. Verdammte Scheiße. Scheiße scheiße scheiße.
    »Wieso lügst du mich an, Lorrie? Oder heißt du vielleicht gar nicht so? Mit welchem Namen hat dich die Frau auf der Farm noch mal angesprochen? Was hat sie gesagt? Wie war der Name?«
    Ich spürte, wie sein Blick auf mir lastete.
    »Ich weiß es nicht mehr.«
    Es war nicht immer so zwischen uns gewesen. Sicher, ich hatte ihm immer Märchen aufgetischt. Ich hatte so lange gelogen, dass es mir gar nicht mehr wie Lügen vorkam. Aber einst hatte ich ihn geliebt, wirklich geliebt, und zu hoffen gewagt, dass es mit uns funktionieren würde, dass ich ein ganz normales Leben verdient hatte, aber im Moment wollte ich nur noch allein sein.
    Joe schnippte seine Zigarette aus dem Fenster. Unsere Blicke trafen sich. Er schien nicht mehr wütend zu sein, sondern nur noch traurig.
    »Nichts ist so schlimm, als dass du es mir nicht erzählen könntest. Vielleicht unterschätzt du mich, Lol.«
    Ich sah zu, wie er das Fenster schloss und wieder ins Bett ging, während ich mich auf die Ellbogen stützte und auf die Straße hinunterblickte.
    Da war er wieder, der Fuchs. Er stand mitten auf der Straße, ohne die geringste Scheu, und blickte mir direkt in die Augen.
    Schicksalsschläge treffen einen ohne Vorwarnung. Urplötzlich wird man niedergestreckt, ohne auch nur das Geringste geahnt zu haben. Tage, Wochen, Monate und Jahre verstreichen, und dann wird man von einer Sekunde auf die andere zu Boden geschlagen.
    Am Tag vor diesem Albtraum hatten wir um halb zwölf einen Termin auf einer Farm in Milford gehabt. Wir waren spät dran. Na ja, ich eigentlich nicht, weil ich mich nie verspäte, aber Joe schaffte es mal wieder nicht. Aus dem Augenwinkel registrierte ich, wie er sich mit schmerzverzerrter Miene auf das Waschbecken stützte, und ich glaubte sogar Tränen in seinen Augen zu sehen. Mühevoll drehte er den Hahn auf, ließ Wasser in ein Glas laufen und nippte mit verzogenem Gesicht daran. Er sah aus, als sei er hundertdrei Jahre alt, als er den Gürtel seines Bademantels zusammenzog, sich die Hand auf die Stirn legte und reglos in dieser Position verharrte – ein Häufchen Elend, das mir zu verstehen zu geben versuchte, dass es ihn schwer erwischt hatte.
    »Dann bleib doch hier«, sagte ich. »Ich sehe ja, dass es dir nicht gut geht.«
    »Nein«, gab er heroisch zurück. »Sie wollten uns beide sehen.«
    Ich wusste, dass an mir keine Florence Nightingale verloren gegangen war, doch mein Mangel an Fürsorglichkeit schockierte mich selbst. Im Krankheitsfall hätte ich unter keinen Umständen von jemandem wie mir gepflegt werden wollen. In meiner Vorstellung waren andere Frauen sanft und rücksichtsvoll – nett und freundlich, aber ich konnte so etwas nun mal nicht. Wäre er ernsthaft krank, Krebs oder so, hätte ich bestimmt alles für ihn getan, doch sein theatralisch dargebrachtes Unwohlsein stieß mich ab. Dazu kamen die Geräusche, die sein Körper, mal vom einen, mal vom anderen Ende von sich gab. Sie hallten durchs Haus wie das Nebelhorn eines Kreuzschiffs.
    Ich zuckte zusammen, als er am Kühlschrank vorbeiging und abermals einen Rülpser von sich gab.
    »Oh, jetzt reicht’s aber, Lorrie!«, sagte er. »Ich bin krank. Was bist du nur für eine verdammte Heuchlerin!«
    Womit er den Nagel auf den Kopf getroffen hatte.
    Er schlurfte aus der Küche, ließ sich aufs Sofa fallen und schien geradezu übermenschliche Kräfte aufbieten zu müssen, um zur Fernbedienung zu greifen und den Fernseher anzuschalten, wo der übliche Blödsinn lief. Ich merkte, wie meine Verärgerung wuchs. Er wusste, dass ich die Glotze hasste. Es deprimierte mich, wenn tagsüber der Fernseher lief, weil ich unweigerlich an Krankenhäuser und Behindertenheime denken musste, an sedierte, in Reihen herumstehende Idioten, die mit offen stehenden Mündern den Plattheiten der Moderatoren lauschten.
    »Ich gehe jedenfalls in zwanzig Minuten«, erklärte ich knapp und verließ das Zimmer. Tillys Halsband klimperte leise, als sie hinter mir hertrottete.
    »Hör auf, mir dauernd hinterherzulaufen!«, schnauzte ich

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