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So sollst du schweigen: Roman (German Edition)

So sollst du schweigen: Roman (German Edition)

Titel: So sollst du schweigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clara Salaman
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stimmen, als sei ich eine Soziopathin oder so was. Und alles bloß, weil er schon feuchte Augen bekommt, wenn eine Blume verwelkt. Dr.   Crawford verzog eine Miene, als sei sein Bedarf an menschlichen Problemen damit gedeckt.
    »Tja … am Telefon sagten Sie, dass Tilly alles jagt, was sich nur ansatzweise bewegt. Schauen wir doch mal, was sie macht, wenn wir rausgehen und ihr die Gänse zeigen.«
    »Ich hoffe, Sie sind versichert.« Ich stand auf, froh darüber, dass ich hier nicht die Verantwortung trug.
    Wir marschierten über eine Pferdekoppel. Dr.   Crawford führte Tilly an der Leine. Sie zog und zerrte daran, genau wie ich es erwartet hatte. Eine große, dicke Frau stand bei einem Traktor und schaufelte Heu in einen der angrenzenden Ställe.
    Ich blieb stehen, um ein Pferd zu streicheln. Zwar machten mich Pferde immer etwas nervös, aber das Tier stand hinter der Stalltür, nur sein grauer Kopf sah heraus.
    Ich beobachtete, wie Joe und Dr.   Crawford stehen blieben und ein paar Worte mit der dicken Frau wechselten. Sie hatte sich hingekniet und ließ sich von Tilly das Gesicht ablecken. Hier waren echte Hundeliebhaber am Werk.
    »Mein süßes kleines Mädchen!« Sie hatte eine laute Bäuerinnenstimme. Als ich zu ihnen trat, warf sie Joe gerade einen besorgten Blick zu. »Oh, Sie Armer! Mit einem verdorbenen Magen ist nicht zu spaßen!« Offenbar versuchte Joe Mitleid zu erhaschen, wo er nur konnte. Ich sah, dass sie Heu in den kurzen blonden Haaren hatte.
    »Ich bin wirklich sehr tapfer, stimmt’s, Schatz?«, sagte er augenzwinkernd, als ich mich zu ihnen gesellte.
    Die Frau lachte und richtete ihre großen blauen Augen auf mich. Einen Moment lang starrte sie mich mit offenem Mund an.
    »Du meine Güte!«, platzte sie dann heraus. »Caroline! Caroline Stern!«
    Und da war er, der Schicksalsschlag. Unaufhaltsam sauste er auf mich zu und traf mich mitten in die Magengrube. Ich wich einen Schritt zurück. Ich musste mich einen Augenblick sammeln. Meine Kehle war wie zugeschnürt.
    Joe und Dr.   Stern wandten den Kopf, während ich die dicke Frau mit den blauen Augen anstarrte und irritiert den Kopf schüttelte.
    »Wie?«
    »Caroline Stern!«
    »Nie gehört. Ich heiße Lorrie Fischer.«
    »Caroline!«, wiederholte sie. »Ich bin’s, Amy! Amy Jones! Ich habe ein bisschen zugenommen, aber … Caroline!«
    Wieder schüttelte ich den Kopf. »Tut mir leid, aber Sie verwechseln mich mit jemandem«, sagte ich. »Das kommt öfter vor. Anscheinend habe ich ein Allerweltsgesicht.«
    Ich bückte mich und ergriff Tillys Leine.
    Seltsam, aber wenn einen der Schlag des Schicksals getroffen hat, spürt man nichts, absolut nichts. Man fragt sich nur, wo plötzlich all das Blut herkommt.
    Die Jamesons waren ein ziemlich hoffnungsloser Fall, gegen die Joe und ich uns wie Romeo und Julia ausnahmen. Sie waren von ihrem Hausarzt an mich verwiesen worden, weil ihre Tochter Gemma an Magersucht litt.
    »Nehmen Sie doch bitte Platz«, bat ich, als die drei mein Sprechzimmer betraten. Lesley ging voran, gefolgt von der zerbrechlichen Gemma und Michael, der keinen Hehl daraus machte, dass er eine Familientherapie für unsinnige Zeitverschwendung hielt. Mit einem abgrundtiefen Seufzer schlurfte er in den Raum. Er war untersetzt und trug einen Bürstenhaarschnitt. Sein dünnes rotblondes Haar wirkte zwar samtweich, seine Gesichtszüge dagegen waren hart und kantig. Wie immer zog er es vor, stehen zu bleiben und sich nicht am Gespräch zu beteiligen, sondern am Fenster zu stehen und auf die Bäume hinauszustarren. Nur sein Körper schien sich im Zimmer zu befinden, während er mit den Gedanken irgendwo dort draußen war, auf den Ästen.
    Lesley, seine Frau, starrte ihn wie üblich verärgert an, setzte sich mit dem Rücken zu ihm und stellte ihre goldfarbene Handtasche sorgfältig außer Reichweite ihres Mannes, als befürchtete sie, er stehle ihr die Geldbörse. Sie warf ihre auffallend blondierte Mähne zurück, als wolle sie mit der Geste zugleich ihren Mann abschütteln. Sie suchte eine Verbündete in mir, und während wir uns unterhielten, rückte sie mit ihrem Stuhl immer näher, als hätten wir uns gegen ihren Mann verschworen.
    Gemma – ein dürres, rothaariges Ding – saß mit gesenktem Blick neben ihrer Mutter und schwieg. Sie und ich hatten gerade eine Einzelsitzung hinter uns gebracht, und zum ersten Mal hatte ich den Eindruck, als hätten wir einen kleinen Durchbruch erreicht. Während unserer Familiensitzung hatte sie

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