So unerreichbar nah
dort einen Kaffee zu gönnen.
Bis zum
Abendessen, einem romantischen Candle-Light-Dinner mit vier Gängen, hatten wir
uns einigermaßen eingekriegt. Zumindest sprachen wir über belanglose Dinge
wieder miteinander. Wir lobten das ausgezeichnete Essen. Er fragte mich, ob ich
das Salz bräuchte und ich reichte ihm auf seine höfliche Bitte den Brotkorb.
Später saßen wir an der Hotelbar. Jeder von uns beiden hielt sich an einem
Drink fest und ich kam mir vor wie eine Hälfte von einem dieser langjährig
verheirateten Paare, die sich nichts mehr zu sagen haben.
Auf unserem
Zimmer angekommen erklärte Paul, wir seien schließlich hergekommen, um ein
Liebeswochenende zu verbringen und wollte mit mir schlafen. Und zum allerersten
Mal, seit wir zusammen waren, verweigerte ich mich. Stattdessen diskutierten
wir die ganze Nacht. Gegen Morgen fand dann eine halbherzige Versöhnung statt. Am
Samstag gingen wir nach dem Frühstück spazieren, ließen uns doch noch massieren
und fuhren nachmittags zurück nach München. Wir hatten uns zwar wieder
versöhnt, aber in mir blieb ein schales leeres Gefühl zurück. Und ich hatte an
meinem schlechten Gewissen zu knabbern. Lag meine Aufmüpfigkeit daran, dass ich
meinen Freund unbewusst ständig mit Lucas verglich? Paul war heute Vormittag in
die Kanzlei gefahren, um den freien Freitag wieder aufzuarbeiten. Draußen
windete es heftig und goss in Strömen. Zu ungemütlich für einen Spaziergang. Ich
pusselte in meinen vier Wänden herum, wusch, putzte, bügelte und kümmerte mich
um meine schändlich vernachlässigten Zimmerpflanzen, als am Nachmittag mein
Handy summte. Eine SOS-SMS von meiner Freundin:
Tessa, wenn
du zuhause bist, rette mich! Wir verbringen das Wochenende mit Lucas´
Patenkindern und ich bin mit den Nerven am Ende. Komm unter irgendeinem Vorwand
hoch und steh mir bei!
Lisa - total
fertig
Schlagartig
war es mit meiner Ausgeglichenheit vorbei. Nicht schon wieder eine direkte
Konfrontation mit Lucas! Jetzt durfte ich auch nicht mehr kühl und schnippisch
zu ihm sein, da Paul, dessen Eifersucht als Ausrede herhalten musste, nicht
anwesend war. Kurz erwog ich, mich nicht zu melden und so zu tun, als ob ich
nicht daheim sei. Aber das war schäbig und ich traute es Lisa zu, dass sie in
ihrer offensichtlichen Verzweiflung zu mir an die Wohnungstür kam oder gar Paul
anrief, wo ich mich befand.
Was sollte
ich als Grund für meinen Überfall nennen? Meist borgten sich die Leute Eier
oder Mehl, weil sie Kuchen backen wollten und eine Zutat nicht hatten. Lisa
würde sich bei dieser Ausrede ausschütten vor Lachen, da sämtliche Kuchen, an
denen ich mich je versucht hatte, entweder steinhart wurden oder matschähnliche
Konsistenz besaßen. Und Lucas würde sich einmal mehr über meine
"hausfraulichen Qualitäten" freuen…Zucker! Jawohl, mir war der Zucker
ausgegangen. Und da ich meinen Kaffee immer mit viel Zucker trank, klang das
sehr plausibel.
Ich rannte
ins Schlafzimmer. Riss die Kleiderschranktür auf. Was zog man an, wenn man an
einem verregneten Sonntagmittag unter dem Vorwand, Zucker zu benötigen,
irgendwo klingelte? Und sich dort "ganz zufällig" der Mann aufhielt,
den man unbedingt beeindrucken wollte? Sexy Klamotten fielen schon mal flach.
Die Sporthose und das T-Shirt, welche ich gerade am Leib hatte, sahen zwar
unverfänglich und bequem, aber auch total unspektakulär aus.
Okay, Tessa,
denk nach. Ich wählte eine hautenge Röhrenjeans in hellblau mit einem dunkelblauen
Longpulli, schlang einen breiten schwarzen Ledergürtel um meine Taille -
schließlich sollte er sehen, dass ich eine solche besaß - und schlüpfte in
dunkelblaue Ballerinas. Im Bad legte ich Lipgloss auf, fuhr mit dem Rougepinsel
über meine Wangen und tuschte meine Wimpern. Ich schnappte meinen
Wohnungsschlüssel und rannte in den zweiten Stock. Da ich regelmäßig auf dem
Crosstrainer trainierte, wusste ich, dass ich mein wild pochendes Herz nicht
auf meine schlechte Kondition schieben konnte.
Lisa öffnete
wenige Sekunden, nachdem ich auf den Klingelknopf gedrückt hatte. Ganz im
Gegensatz zu ihrer sonstigen untadelig gepflegten Erscheinung wirkte sie heute
derangiert: Ihr Haar war zerzaust, seitlich über dem rechten Ohr steckte eine
rosafarbene Schmetterlingsspange, auf ihrer Jeans prangten mehrere Flecke und
ihre Wimperntusche war verlaufen, wodurch sie Ähnlichkeit mit einem genervt
blickenden Pandabären aufwies. Aus dem Wohnungsinneren war Gekicher, Geschrei,
Getrampel
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