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So unerreichbar nah

So unerreichbar nah

Titel: So unerreichbar nah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marleen Reichenberg
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hatte,
anstatt sie per SMS abzuservieren. Oder noch einfacher, seinen Beziehungsstatus
auf Facebook änderte und sie von seiner Freundesliste strich.
    Ich stellte
mir dasselbe Gespräch zwischen mir und Paul vor, wobei ich statt "die
Nina"  " den Lucas" verwendete und schüttelte über mich selbst
den Kopf. Es stand völlig außer Frage, dass ich Paul nur wegen meiner
kindischen Gefühlsverirrung für Lucas verlassen würde. Was für eine blöde
Vorstellung! Glücklicherweise klappte der junge Frauenheld neben mir seine
Kapuze über den Kopf und stieg an der nächsten Haltestelle aus, während er
schon wieder das Handy zückte. Zweifellos, um jetzt "die Nina" zu
kontaktieren, dass "alles im grünen Bereich" war und ihrer jungen
Liebe keine Schnecke mehr im Wege stand.
    Ich sollte in
Erwägung ziehen, häufiger öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen, da lernte man
den richtigen Umgang mit den lieben Mitmenschen hautnah. Aber wie bereits
erwähnt fuhr ich nun mal gerne mit meinem Wagen. Auch Alicia besaß einen
fahrbaren Untersatz, aber die größere Herausforderung für sie bestand
augenblicklich darin, sich unter vielen anderen Menschen zu bewegen und da war
die Straßenbahn genau das richtige Mittel zum Zweck. Ihre heutige Aufgabe
bestand darin, mitten in der Innenstadt auszusteigen und sich dort mindestens
eine Stunde aufzuhalten, bevor sie mit der Straßenbahn wieder nachhause fuhr.
Wir hatten ausgemacht, dass ich in Sichtweite bleiben sollte, sie mich aber nur
im äußersten Notfall - bei einer extremen Panikattacke - ansprechen durfte.
    Als ich ihr
mit wenigen Metern Abstand durch die gutbesuchte Fußgängerzone folgte, wusste
ich endlich, wie sich ein Privatdetektiv bei einer Personenbeschattung fühlt. Alicia
allerdings fühlte sich momentan nur mit mir als Schatten wohl. Immer wieder vergewisserte
sie sich durch einen suchenden Blick, dass ich nicht unauffällig das Weite
gesucht hatte.
    Aber seit ich
das erste Mal bei ihr gewesen war, hatte sie enorme Fortschritte gemacht. Ihre
Familie war begeistert. Ihr Bruder Wolfgang hatte mir über Lisa ausrichten
lassen, er würde jederzeit - sofern ich damit einverstanden war - eine
kostenlose Werbekampagne für mich als fähige Angst-Therapeutin starten. Das war
zwar ein nettes Angebot, aber glücklicherweise galt für Psychotherapeuten ein
grundsätzliches Werbeverbot. Ansonsten wären diese Kreativen - wie ich bei Lisa
oft genug mitbekommen hatte - in ihren marktschreierischen Ideen nicht zu
bremsen gewesen.
    Wahrscheinlich
hätte man mich wie die Models in der H&M Werbung auf meterhohen
Plakatwänden in der Innenstadt abgebildet, wie ich mich verführerisch lächelnd auf
meinem Sessel räkelte, mit der Aufschrift: "Sie haben Angst? Tessa, 28,
befreit Sie!"
    Und ich hätte
mich unter der angegebenen Nummer vor Irren nicht mehr retten können…

TROUBLEMAKER
     
    Es war wie
verhext: Immer, wenn ich Lucas eine Weile nicht sah und dachte, meinen
Seelenfrieden endgültig wiedergewonnen zu haben, machte mir das Schicksal einen
Strich durch die Rechnung. So auch an diesem Sonntag. Obwohl ich mich momentan
alles andere als friedlich fühlte.
    Paul und ich
waren von Freitagnachmittag bis Samstagabend in einem Wellnesshotel in Bad Tölz
gewesen. Der Plan war gewesen, uns mit Massagen verwöhnen zu lassen und uns
selbst gegenseitig zu verwöhnen.
     
    Aber diese
beiden Tage erwiesen sich von Anfang bis Ende als total verkorkst. Es hatte
schon damit begonnen, dass sich Paul auf der Hinfahrt tierisch über den
üblichen Freitagnachmittagsverkehr auf der Autobahn aufgeregt hatte. Darüber,
dass es nicht schneller voranging. Er hatte geschimpft wie ein Rohrspatz.
Anfangs fand ich das noch amüsant und blieb ruhig. Als er dann aber völlig
unmotiviert seinen Wagen in einem halsbrecherischen Manöver im dichten Verkehr
nach links zog und wir beinahe auf den Vordermann auffuhren, wurde ich
ebenfalls sauer. Sarkastisch hatte ich ihn gefragt, ob er lieber ins
Krankenhaus anstatt ins Hotel wolle. Ein Wort hatte das andere ergeben.
     
    Als wir
endlich an der Hotelrezeption standen, um einzuchecken, redeten wir nicht mehr
miteinander. Ich war drauf und dran, für mich ein Einzelzimmer zu verlangen. Im
Zimmer angelangt erklärte er von oben herab: »Ich muss ins Badezimmer« und
verschwand darin. Ich ärgerte mich, weil ich auch auf die Toilette musste, die
er für eine Marathonsitzung belegt hatte. Wutentbrannt hatte ich mich umgezogen
und war in die Hotelhalle verschwunden, um mir

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