So unerreichbar nah
und dazwischen die fröhlich klingende, tiefe Stimme von Lucas zu
vernehmen. Hörte sich an wie ein Kindergeburtstag mit mindestens zehn
Teilnehmern. Wie viele Patenkinder hatte der Mann? Lisas Gesichtsausdruck
signalisierte mir tiefste Erleichterung und Dankbarkeit. Rasch flüsterte sie:
»Tessa, du
hast was gut bei mir. Bleib um Himmels Willen hier und hilf mir.«
Gleich darauf
erhob sie ihre Stimme zu einem freundlich-überraschten Ausruf:
»Hallo Tessa.
Seid ihr schon wieder zurück von Tölz? Komm doch rein!«
Ebenso laut
heuchelte ich zurück:
»Nein, ich
will nicht stören. Wie ich höre, hast du Besuch. Ich wollte nur schnell etwas
Zucker für meinen Kaffee von dir borgen.«
Neben meiner
Freundin erschien ein etwa sechsjähriges Mädchen, welches mich mit großen
braunen Augen ungeniert von Kopf bis zu meinen Füßen hinunter abtaxierte. Sie
legte den Kopf mit dem langen blonden Pferdeschwanz schief und fragte:
»Bist du eine
Freundin von Lisa? Ich habe ihr eine Frisur gemacht, aber ich glaube nicht,
dass sie ihr gut gefällt. Magst du Kinder?«
Ich hätte
beinahe laut aufgelacht. So wie die Kleine das "du" betonte, war sie
der Ansicht, Lisa sei eine Kinderhasserin und käme gleich nach der Hexe aus
Hänsel und Gretel. Bevor ich etwas erwidern konnte, ging Lisa dazwischen.
»Johanna, du
kannst nicht einfach fremde Leute mit Du ansprechen. Das ist Frau Achern, meine
Freundin.«
Johanna ließ
Lisas Einwand völlig kalt. Mit kindlicher Logik erklärte sie:
»Sie ist
nicht fremd. Du bist die Freundin von Lucas, sie ist deine Freundin, also sage
ich auch du zu ihr!«
Ich sah, wie
Lisas Hals sich leicht rötete. Ein gefährliches Anzeichen. Schnell wandte ich
mich an Johanna:
»Das ist
schon in Ordnung. Sag einfach Tessa zu mir!«
Das Mädchen
warf Lisa einen triumphierenden Blick zu.
»Siehst du!
Ich darf du zu ihr sagen! Komm rein, dann siehst du auch meinen kleinen Bruder
Tim«, lud mich das aufgeschlossene Kind freundlich ein. Ich grinste Lisa, die
resigniert mit den Achseln zuckte, fröhlich an und schlängelte mich an ihr
vorbei in die Wohnung. Lucas erschien mit einem etwa vierjährigen, verschmitzt
wirkenden Lausbub unter dem Arm in der Wohnzimmertür. Er wirkte mit seinem
Indianerkopfschmuck noch riesiger als sonst. Erfreut begrüßte er mich.
»Hallo Tessa.
Komm doch rein und spiel mit uns. Darf ich vorstellen: Das sind Kinder meiner
Schwester Bettina, meine Patenkinder Johanna und Tim.«
Mit
sichtlichem Stolz deutete er mit der freien Hand auf die beiden, während der
kleine Junge, der ebenfalls Federkopfschmuck und wilde Kriegsbemalung im
Gesicht trug, unter seinem Arm zappelte und sich wand.
»Lass mich
runter, Onkel Lucas, damit wir weiter Indianer spielen können.«
Froh über die
Anwesenheit der beiden Kinder, die mir keine Zeit ließen, Lucas appetitlichen
Anblick längere Zeit zu genießen oder mich gar wieder in erotische Tagträume zu
verirren, ließ ich mich von Johanna ins Wohnzimmer ziehen und wusste augenblicklich,
warum Lisa so fertig war. Der sonst so ordentliche, steril wirkende Raum war
nicht mehr wiederzuerkennen. Unter den Fenstern lag eine stattliche Anzahl an
Barbiepuppen in verschiedenen Stadien der Bekleidung, von nackt bis hin zum
Abendkleid, um sie herum wild verstreut Klamotten, Handtaschen und Schuhe im
Miniaturformat. In der Mitte des Zimmers war - so wie es aussah, aus allen
Decken, Kissen und Tischdecken, die Lisa besaß - eine Art Zelt aufgebaut. Als
Stütze diente Lisas Hometrainer.
Der restliche
Boden war mit Spielzeugautos aller Marken und Farben bedeckt. Johanna steuerte
mit mir an der Hand zielsicher die Puppenecke an und ich bewegte mich wie ein
Storch im Salat durch das Zimmer, um nur ja keine kostbaren Autos zu zertreten.
Tim, der mich mit Argusaugen dabei beobachtete, hätte mir das vermutlich nicht
verziehen.
Ich kniete
mich neben Johanna hin und bewunderte ihre Barbies ausgiebig. In all den
Jahren, die sie nunmehr existierte, hatte sich Barbie, abgesehen davon, dass es
sie mittlerweile in allen ethnischen Variationen gab, figurmäßig nicht groß
verändert.
Irgendwo
hatte ich einmal gelesen, dass Wissenschaftler die Proportionen des
Barbiekörpers auf menschliche Verhältnisse umrechneten und dabei zu der
bahnbrechenden Erkenntnis gelangten, ein Mensch mit diesen Maßen sei nicht überlebensfähig.
Dazu musste man meiner Meinung nach aber keine wissenschaftlichen Forschungen
betreiben: Jede Frau, die von Natur aus mit solch langen,
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