So unerreichbar nah
Lederstiefeln steckten und mein
überdimensionierter Wollpullover zum Vorschein. Zusammen mit meinen nachlässig
aufgesteckten Haaren und meinem nur dezent geschminkten Gesicht ergab das im
Garderobenspiegel einen nicht unbedingt verführerischen Gesamteindruck. Mein
Look war alles andere als schick, dafür sehr bequem…Der Kerl im Parkhaus musste
eine blühende Fantasie besitzen, da er mir tatsächlich einen Job im
horizontalen Gewerbe unterstellte. Wahrscheinlich hatte er gedacht, dies sei
meine Tarnkleidung für den Feierabend oder ich wäre auf dem Weg zu einem Kunden
mit perversen Vorlieben. Tief holte ich Luft, unterdrückte eine patzige
Entgegnung und wandte mich in versöhnlichem Tonfall an meinen Freund.
»Schatz, du
solltest mittlerweile wissen, dass es in meinem Job nicht gut kommt, verführerisch
angezogen zu sein. Wenn ich therapiere, muss ich sozusagen ein Neutrum sein,
jemand, der völlig unauffällig ist. Ich will meinen Patienten helfen, ihre
Probleme zu lösen. Sie sollen sich nicht für mich interessieren oder, wenn es
Frauen sind, mich als Konkurrenz empfinden. Und bei einer Paartherapie ist es
wichtig, dass sich die Klienten aufeinander konzentrieren, nicht auf die
Therapeutin.«
Vermutlich
gehörte ich zu dem äußerst geringen Teil der Bevölkerung, der während der
Arbeitsausübung die bequemen alten Klamotten auftrug und sich in der Freizeit
schick machte.
Paul wandte
sich in Richtung Küche, bevor er einen erneuten Pfeil auf mein
Selbstbewusstsein abfeuerte.
»Na schön,
wenn du meinst. Aber es wäre genauso gut möglich, dass deine Patienten dich
bemitleiden und sich insgeheim überlegen, was man optisch aus dir rausholen
könnte, anstatt sich auf die Therapie zu konzentrieren! Ich hoffe nur, dass
dich in diesem Aufzug niemand auf der Straße mit mir in Verbindung bringt. Das
wäre rufschädigend. Jetzt geh endlich unter die Dusche, wirf diese Sack-und
Asche-Klamotten weg und richte dich einigermaßen verführerisch her, damit wir
doch noch einen schönen Abend verbringen können. In einer Viertelstunde gibt´s
Essen, Linsen mit Würstchen und Spätzle.«
Oh nein,
nicht schon wieder Linsen! Die vertrug mein Darm gar nicht, also würde ich sie
weglassen müssen. Pauls Darm vertrug sie ebenfalls nicht, aber ihm machte das
nichts aus. Als gebürtiger Stuttgarter liebte er diese schwäbische Spezialität
und vergaste gerne nachts mein Schlafzimmer.
Als er sich
in Richtung Küche umwandte, bot er mir freien Blick auf seinen knackigen
Hintern in engen Jeans. Leider wurde der anziehende Gesamteindruck seiner
Rückfront durch die große Schleife seiner umgebundenen Schürze gemindert. Na
prima, mir wurde mein Outfit madig gemacht, aber wenn er mit seiner albernen
Schürze mit dem aufgedruckten Logo "Hier kocht der Chef" herumlief,
dann war das völlig okay. Aber wie das Schürzenlogo ja besagte, ging es um ihn,
nicht darum, was ich sexy fand.
Unter der
warmen Dusche bemühte ich mich, meine aufmüpfigen Gedanken durch positive zu
ersetzen. Natürlich hätte ich gern erst einmal abschalten wollen. Aber war es
nicht selbstlos von ihm, früher Feierabend zu machen, zu mir zu kommen und mich
mit einem warmen selbstgekochten Essen zu verwöhnen, wenn ich heimkam?
Sorgfältig rasierte ich meine Beine und Oberschenkel, während Engelchen mich
innerlich schimpfte. Andere Frauen wären dem lieben Gott für so einen Mann auf
Knien dankbar. Er sah gut aus, verdiente als angestellter Wirtschaftsprüfer in
einer renommierten Kanzlei nicht schlecht und machte sich viele Gedanken um
mich. Gerade als ich das Wasser abdrehte, kam er ins Bad und rief mit
verheißungsvollem Unterton:
»Ich hab hier
was Schönes für dich, Babe. Zieh es an, wenn du fertig bist.«
Ich ahnte
Schlimmes. Ich wollte auch nicht sein "Babe" sein. Und schon sank
meine eben stabilisierte Laune in den Keller. Als er die Badezimmertür von außen
schloss, seufzte ich laut auf, öffnete die Duschtür einen Spalt breit und sah
etwas Schwarzes auf dem Badhocker liegen. Er war wieder einmal im Sexshop
gewesen. Die einzige Art von Geschäft, welches er freiwillig und gerne zum
Einkaufen betrat. Von dort brachte er mir regelmäßig Spielzeug und Klamotten
mit, auf deren Anschaffung oder gar Benutzung ich allein im Leben nie gekommen
wäre.
Meinen
begrenzten sexuellen Horizont erweitern nannte er das und meine mangelnde
Begeisterung hierfür ignorierte er komplett. Dafür war er total begeistert, das
genügte.
Im Spiegel
betrachtete ich
Weitere Kostenlose Bücher