Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
So unerreichbar nah

So unerreichbar nah

Titel: So unerreichbar nah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marleen Reichenberg
Vom Netzwerk:
kommen, zu anderen Freuden hatte es - zumindest für mich
- wie schon erwähnt nicht gereicht…Aber das würde ich Lisa natürlich nicht auf
die Nase binden.
    »Ja, er hat
heute früher in der Kanzlei Schluss gemacht. Hat für uns gekocht, deshalb muss
ich schnell wieder runter. Hast du die Karten?«
    Während sie
mir einen Umschlag in die Hand drückte, fuhr sie voller Selbstmitleid fort:
    »Ich beneide
dich schrecklich, Tess. Paul kommt so oft zu dir, obwohl er ebenfalls einen
zeitaufreibenden Job hat. Ich wünschte, Simon wäre wie er. Stattdessen sitze
ich mutterseelenallein mit Pizza vor der Glotze und sehe mir alte Sex-and-the-City-Staffeln
an.«
    Mich packte -
aus völlig gegensätzlichen Gründen - ebenfalls der blanke Neid. Liebend gerne
wäre ich jetzt neben Lisa auf ihrer Designer-Couch gesessen und hätte die Pizza
sowie die Erlebnisse von Carrie Bradshaw mit ihr geteilt, aber in meiner
Wohnung wartete mein "Mr. Big" mit Linsen sowie einem späteren
zweiten Orkanausbruch auf mich…
    Auf dem Weg
nach unten gingen mir ketzerische Gedanken durch den Kopf. In letzter Zeit
empfand ich Paul als zunehmend anstrengend. Immer ging alles nach seinem Willen.
Er entschied, wann wir uns trafen, was ich anziehen sollte, wann und auf welche
Art wir Sex hatten und wenn er kochte, was es zu essen gab. Nie kam er auf die
Idee, mich nach meiner Meinung zu fragen. Widersprach ich ihm, führte das zu
endlosen Diskussionen, die er so geschickt manipulierte, dass ich am Ende als
Nörglerin dastand und um des lieben Friedens willen meist nachgab.
    Dennoch war
er neben Lisa seit drei Jahren der wichtigste Mensch in meinem Leben,
derjenige, der sich für mich interessierte, mich begehrte und mein Leben mit
mir teilte. Er sah gut aus, war ehrgeizig, würde in ein paar Jahren Partner in
seiner Kanzlei werden und verdiente überdurchschnittlich gut. Ich schimpfte
mich eine undankbare Trine. Was wollte ich noch mehr?

THE GREAT PRETENDER
     
    Ich war
bereits seit einer Dreiviertelstunde fix und fertig angezogen und geschminkt
ungeduldig in meiner Wohnung auf- und ab getigert, als Paul  endlich erschien,
um mich in die Oper abzuholen. Mein elegantes blauschimmerndes Cocktailkleid
kommentierte er mit:
    »Ganz nett,
aber zu lang!«
    Für Paul war
alles, was nicht wenigstens dreißig Zentimeter oberhalb meiner Knie endete, zu
lang. Er hatte die feinen Unterschiede zwischen festlich-eleganter und ordinär-aufreizender
Kleidung noch nicht durchschaut. Nur meine flachen schwarzen Ballerinas fanden
seine Zustimmung. In dieser Hinsicht war er durchaus zu Zugeständnissen bereit,
da ich ihn mit höheren Schuhen überragt hätte - ein Umstand, den sein
männliches Ego nur dann ertragen konnte, wenn ich ihn mit High-Heels sexuell
antörnte und wir beide allein waren.
    Angesichts
der knappen Zeit verzichtete ich auf eine patzige Entgegnung und schnappte mir
meine Abendtasche, um hinter ihm her zu seinem Auto zu eilen.
     
    Vor dem
Opernhaus stand eine kleine Gruppe von Leuten, die hoffnungsvoll Zettel mit der
Aufschrift "Kaufe Karten für Premiere, zahle jeden Preis" in die Höhe
hielten, als wir die Treppen zum Eingang hochhetzten. Energisch zog ich Paul,
der seine Schritte verlangsamte und drauf und dran war, den leer ausgegangenen
Opernfans unsere Karten meistbietend zu versteigern, mit mir nach innen und
zischte ihm ein warnendes: »Denk nicht mal dran!« zu.  
    Mit einem
aufgesetzt freundlich-entschuldigenden Lächeln und ständigem Danke-Gemurmel
zwängte ich mich, dicht gefolgt von Paul, an gefühlten hundert unwillig
aufstehenden, festlich gekleideten Menschen unserer Sitzreihe im Zuschauerraum
der Münchner Oper vorbei, während der Gong, der die Besucher anmahnte, ihre
Plätze einzunehmen, zum dritten Mal erklang. Ich verfluchte meinen Freund, der
wie immer, wenn wir zu einem von mir organisierten Event verabredet waren, sehr
großzügig mit der ausgemachten Abholzeit umging.
     
    Aufatmend
ließ ich mich auf meinen endlich erreichten Platz im vorderen Drittel des
Parketts fallen, der einen hervorragenden Blick auf die Bühne bot. Sekundenlang
konnte ich noch diese typische Opernatmosphäre mit den Geräuschen des sich
einstimmenden Orchesters, Menschen in festlicher Kleidung, Parfumgeruch und
erwartungsvollem Stimmengemurmel genießen, bevor das Licht im Zuschauerraum
langsam heruntergedimmt wurde, die Musik einsetzte und sich der Vorhang öffnete.
    Ich hatte ein
ausdruckvolles, orientalisch anmutendes Bühnenbild erwartet und

Weitere Kostenlose Bücher