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So unerreichbar nah

So unerreichbar nah

Titel: So unerreichbar nah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marleen Reichenberg
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erst am Donnerstag, aber ich hatte vor, bis dahin
in ein Hotel zu ziehen und mir ausgiebig die Stadt, in der ich zukünftig leben
würde, anzusehen. Im Internet hatte ich mich bereits informiert, was Hamburg an
Sehenswürdigkeiten zu bieten hatte. Die Stadt wirkte interessant und völlig
anders als München. Ich war gespannt.
     
    Hamburg
enttäuschte mich nicht. Hier herrschte wirklich eine ganz andere Atmosphäre als
in meiner Heimatstadt. Aber gerade, weil alles so gegensätzlich war, angefangen
vom Wetter, über die Mentalität der Menschen bis hin zur Architektur und dem
Stadtkern, fiel mir die Trennung von meinem "alten" Leben leichter
als befürchtet. Ich war drei Tage lang vollauf damit beschäftigt, mir diese
eindrucksvolle Stadt anzusehen. Ich machte eine Stadt - und eine Hafenrundfahrt
mit, bewunderte die Bauten des Rathauses und des Hamburger Wahrzeichens, der
St. Michaeliskirche, stieg dort auf den Turm und genoss die wunderbare Rundumsicht
auf die ganze Stadt. Das besondere Flair rund um Alster und Hafen faszinierte
mich, ebenso wie die Nähe zum "großen" Wasser, die ich als Münchner
Kindl bisher allenfalls im Urlaub erlebt hatte.
    Natürlich
litt ich immer noch unter gelegentlichen Anfällen von Schwermut. Beispielsweise
dann, als ich mir ein neues internetfähiges Smartphone mit anderem Anbieter und
neuer Nummer zulegte. Mein altes Handy hatte ich "versehentlich" in
meiner Münchner Wohnung liegen gelassen, um der Versuchung, doch für Lisa
erreichbar zu sein, widerstehen zu können. Genauso konsequent löschte ich
meinen E-Mail-Account und legte mir einen anderen zu, dessen Adresse ich nur an
Leute weitergab, die Lisa nicht kannte. In Facebook, Twitter oder anderen
sozialen Netzwerken war ich ohnehin nicht vertreten. Bezüglich Sozialkontakten
war ich der visuelle und auditive Typ, der sein Gegenüber in Natura sehen und
hören wollte. Wenn ich meine Freunde kontaktierte, traf ich sie persönlich,
rief sie ganz altmodisch an oder schickte eine Mail mit Briefanhang. Elsa würde
ich, wenn es soweit war, meine neue Wohn- und Arbeitsplatzadresse, Festnetz-
und Geschäftstelefonnummer mitteilen und ihr kurz Bescheid geben, dass ich heil
gelandet war und es mir gut ging.
    Das letztere
war gelogen: Ich hatte meinen Seelenfrieden zwar einigermaßen wiedergewonnen.
    Der geriet
allerdings sehr oft ins Wanken, wenn ich tagsüber bei meinen Streifzügen durch
die Stadt junge Familien mit Kinderwagen erblickte. Oder einen hochgewachsenen
dunkelhaarigen Mann von hinten sah, der von der Statur her Lucas ähnelte.
    Ich sehnte
mich danach, mit Lisa am Telefon stundenlang über alles Mögliche zu plaudern
und vermisste zutiefst unsere gemütlichen Kaffeenachmittage.
    Wie mir erst
hier auffiel, hatte sich mein Freundeskreis nach dem Studium massiv
verkleinert. Seit ich arbeitete, war ich hauptsächlich mit Lisa zusammen
gewesen, ab und zu noch mit Johannes und Max auf ein Bier um die Ecke gegangen
und als ich mit Paul befreundet gewesen war, hatte ich meine freie Zeit mit ihm
verbracht. Und nun, so schien es, musste ich mir ein paar neue Kontakte
zulegen, wenn ich nicht zur Sozialautistin mutieren wollte, die sich nur noch
in ihre Arbeit vergrub.
     
    Als ich am
Donnerstag zu Marie Terhorst fuhr - sie hatte mir eine Adresse im Stadtteil
Winterhude angegeben - freute ich mich über den ersten guten Eindruck, den
dieses Viertel auf mich machte. Die Straßen wirkten ruhig, sehr begrünt, es gab
diverse Straßencafés und viele restaurierte Altbauten. In einem davon hatte
meine reiselustige Kollegin ihre gemütliche Zweizimmerwohnung, die mir von dem
Moment an, als mich Marie nach innen bat, sehr gut gefiel. Die beiden Zimmer
hatten hohe Stuckdecken, einen hellen Parkettboden und waren - was mich
besonders faszinierte - mit Möbeln im amerikanischen Stil, ähnlich wie es man
manchmal in Wildwestfilmen im Inneren der Ranches sieht - eingerichtet.
    Marie, eine
quirlige Mittdreißigerin mit langen rabenschwarzen Haaren, blickte mich unter
ihren Ponyfransen heraus mit ihren dunklen Augen fragend an.
    »Na, gefällt
dir die Wohnung? Ich sage jetzt einfach mal Du, wir sind ja ungefähr
gleichaltrig.«
    Sie streckte
mir die Hand entgegen und ganz im Gegensatz zu der Situation mit Franziska war
ich hier mit dem Du völlig einverstanden. Marie war mir mit ihrer umgänglichen,
unkomplizierten Art auf Anhieb sympathisch. Ich hätte sie gerne zur Freundin
gehabt. Schade, dass sie jetzt wegging!
    Auf meine
begeisterte Zustimmung und

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