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So unerreichbar nah

So unerreichbar nah

Titel: So unerreichbar nah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marleen Reichenberg
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beraten, in welchem Lokal wir diesen ungemütlich begonnenen Abend
ausklingen lassen würden, als plötzlich ein Paar in den Sechzigern direkt auf
uns zusteuerte.
    Entweder
waren sie Geschwister oder die Theorie, dass sich Langverheiratete im Laufe der
Jahre optisch immer mehr anglichen, stimmte tatsächlich. Beide waren groß und
hager, hatten Hakennasen und wirkten insgesamt spröde und humorlos, obwohl der
Mann seine schmalen Lippen angesichts unseres Anblicks zu einem Lächeln verzog,
welches seine Augen nicht erreichte. Unsicher, ob es sich um irgendeinen meiner
früheren Patienten handelte, lächelte ich zurück. Aber sein Blick glitt an mir
vorbei zu Paul, der gerade dabei war, sich rücksichtslos einen Weg zum
nächststehenden Garderobenhüter zu bahnen und bereits unsere Marken zückte.
    Ich zupfte
meinen Freund vorsichtig am Ärmel. Er wandte sich zu mir um und seine angespannten
Gesichtszüge verzogen sich schlagartig zu einem überschwänglichen Lächeln, als
er hinter mir das ältere Paar erblickte.
    Jovial
reichte ihm der Ältere die Hand.
    »Herr
Veltenried, was für eine Überraschung! Ich wusste gar nicht, dass Sie
Opernliebhaber sind!«
    Und mit einem
neugierigen Blick zu mir:
    »Und das ist
wohl Ihr Frauchen? Da haben Sie sich aber etwas Hübsches ausgesucht!«
    Der Kerl war
mir auf Anhieb unsympathisch. Und ich seiner Angetrauten ebenfalls, dass sah
man an ihrem missbilligendem Gesichtsausdruck. Außerdem war ich nicht Pauls
"Frauchen" - er war ja schließlich kein Hund - und gegen die
Bezeichnung "etwas Hübsches" reagierte ich auch allergisch. Aus
welcher Dose war denn dieser Idiot gekrochen? Aber Paul erinnerte mich fatal an
ein Männchen machendes Hundchen, als er eifrig nickte, den linken Arm
besitzergreifend um meine Taille legte und dem Mann begeistert die Hand
schüttelte.
    »Einen
wunderschönen guten Abend, Herr Dr. Rademacher, Frau Dr. Rademacher. Ja, das
ist Teresa Achern, meine Verlobte. Wir gehen beide sehr gerne in die Oper, vor allem
Mozart hat es uns angetan. Teresa, darf ich dir meinen Seniorchef, Dr.
Rademacher und seine reizende Gattin vorstellen?«
    Sekundenlang
fragte ich mich, wen er mit Teresa meinte. Vor etwa zwei Jahrzehnten hatte
meine Mutter mich mit unheilvollem Unterton letztmalig so genannt, als sie mir
eine gesalzene Strafpredigt hielt. Mit acht Jahren hatte ich unserem
Nachbarssohn Rudolf bei einer Keilerei die Nase blutig geschlagen, völlig zu
Recht, weil er meine Safari-Barbie mit einer Stecknadel hinterrücks erdolchen
wollte. Aber seit der Grundschule war ich für alle Freunde und Bekannten Tessa
oder Tess.
    Paul schob
mich nach vorn und unversehens musste ich den schlaffen feuchten Händedruck des
Idioten entgegennehmen, während Paul - ich traute meinen Augen nicht - der
huldvoll lächelnden Gattin einen vollendeten HANDKUSS gab.
    Hallo, was
ging hier gerade ab? Hatten irgendwelche Aliens den Körper meines Freundes
besetzt? Ich hätte ihn zu gerne gefragt, wieso ich unsere Verlobung verpasst
hatte und welche Mozart-Opern er kannte. Und seit wann er anderen Frauen die
Hände küsste? Aber in Gegenwart von Herrn und Frau Dr. Wichtigmacher kam das
nicht infrage. Dass die beiden bereits leicht senil waren, wurde mir bei ihren
überschwänglichen Lobeshymnen bezüglich der heutigen Premiere klar. Sie
schwafelte mit entrücktem Gesichtsausdruck etwas von "einer wunderbaren
neuen Deutung dieser altbekannten Handlung, bei der man nicht durch ein
schwülstig-orientalisches Bühnenbild von der wahren message abgelenkt
wird", während er ergänzte:
    »Ein
herausragender optischer und musikalischer Hochgenuss!«
    Dann richtete
er seinen stechenden Blick provozierend auf mich.
    »Und, junge
Frau, was halten Sie von der Umsetzung dieser Oper in die Moderne?«
    Ich spürte
Pauls Griff um meine Taille fester werden und konnte seine Angst, ich würde ihn
vor seinem Brötchengeber blamieren, förmlich riechen. Na schön, ich würde mir
meine ehrliche Antwort verkneifen, die gelautet hätte: »Nun, alter Mann, ich
finde es entsetzlich, dass Mozarts wundervolle Musik als Umrahmung zu einer
solchen gequirlten Scheiße eines profilierungssüchtigen Intendanten herhalten
muss und deshalb haben mein Freund und ich beschlossen, uns den Rest dieser Farce
zu ersparen«.
    Stattdessen
log ich, dass sich die Balken bogen - was Paul konnte, konnte ich schon lange.
    Ich  lächelte
zuckersüß,  schmiegte mich - ganz das schutzsuchende Frauchen - an meinen
"Verlobten", himmelte ihn mit

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