So unerreichbar nah
in
aller Ruhe in der sonntäglich ruhigen Kanzlei ein paar Akten durchzuarbeiten
und in seine eigenen vier Wände zurückzukehren.
Ich räumte
meine Wohnung auf, putzte das Badezimmer und wusch meine Wäsche. Nachmittags um
zwei meldete sich Lisa auf meinem Handy.
»Bist du allein?
Oder ist Paul noch bei dir?«, hörte ich sie vorsichtig fragen.
An ihrem
zögernden Tonfall erkannte ich sofort, dass sie schlecht drauf war.
Normalerweise war meine Freundin ein nicht zu bremsendes Energiebündel und
sprach sehr schnell.
»Ja, ich bin
allein und spiele gerade die züchtige Hausfrau. Was gibt´s? Du hörst dich nicht
besonders gut an.«
Sie
schluchzte einmal kurz auf, bevor sie schniefend antwortete.
»Ich habe
gerade mit Simon Schluss gemacht. Es ging einfach nicht mehr so weiter. Kann
ich zu dir runterkommen? Ich brauche jemand zum Reden.«
»Aber ja,
komm. Wir machen uns einen gemütlichen Nachmittag und nehmen die Eigenarten der
männlichen Wesen auseinander«, versuchte ich sie aufzumuntern.
Solche
Sonntagnachmittage waren, seit Lisa und ich im selben Haus wohnten, zur
Gewohnheit geworden. Sie fanden grundsätzlich bei mir in bequemer, gemütlicher
Atmosphäre statt. Lisas nüchtern-minimalistisch eingerichtete Wohnung mit den edlen
Designermöbeln war nicht der geeignete Ort zum Herumgammeln und auf der Couch
liegen. Auf ihrem Sitzmöbel bekam ich nach einer Viertelstunde aufrechten
Sitzens bereits Rückenprobleme.
Lisa
war zudem eine Ordnungsfanatikerin. Bei ihr durfte nichts Überflüssiges
herumstehen. Pflanzen, die ihr oft in Unkenntnis dieser Marotte mitgebracht
wurden, ließ sie regelmäßig vertrocknen und entsorgte die Gerippe dann guten Gewissens
im Müllschlucker. Die gewollte Ordnung in ihrem Leben erstreckte sich
allerdings nicht auf ihre Beziehungen: Mit schöner Regelmäßigkeit ver- und
entliebte sich meine Freundin, war zuerst himmelhochjauchzend und nach den
Trennungen, die immer von ihr ausgingen, zu Tode betrübt.
Mich faszinierte
die Tatsache, dass sie bei der Wahl ihrer Partner strenge Maßstäbe anlegte -
sie mussten gut aussehen, einen aussichtsreichen lukrativen Beruf haben und
sympathisch sein - um letztendlich nach einigen Monaten stets festzustellen,
dass der jeweilige Freund doch nicht Mr. Right war, weil er sich unmöglich
kleidete/zu laut lachte/nie den Klodeckel runterklappte/zu wenig Zeit für sie
hatte oder andere schlimme Angewohnheiten pflegte. Ihr Verhalten erinnerte mich
an die anspruchsvolle Königstochter aus dem Märchen "König
Drosselbart", die an allen ihrer Bewerber etwas auszusetzen hatte. Einmal
hatte ich ihr dies halb spaßig und halb ernsthaft vorgehalten.
»Weißt du,
auch du bist nicht perfekt und solltest einfach deinen jeweiligen Partnern
gegenüber ein klein wenig kompromissbereiter sein. Du hattest bisher lauter
nette Männer, da war kein einzig wirklicher Flop dabei. Andere Mädels würden
alles tun, um wenigstens EINEN solchen Mann zu bekommen.«
Sie hatte
mich selbstbewusst ausgelacht und darauf hingewiesen, dass besagte
Königstochter zwar von ihrem erbosten Vater gezwungen wurde, einen Bettler zu
heiraten, sich dieser aber letztendlich als Königssohn entpuppte und die beiden
bis an ihr Lebensende glücklich und zufrieden lebten.
»Du wirst
schon sehen, Tess. Irgendwann finde ich den Richtigen, aber vorher muss ich
eben viele Frösche küssen!«
Mit ihrem
Äußeren - sie war mittelgroß, zierlich, naturblond und hatte ein feingeschnittenes
Elfengesicht mit beinah violett leuchtenden Augen - sowie ihrer lebhaften
aufgeschlossenen Art hatte sie keinerlei Schwierigkeiten, Männer aufzureißen.
Sie rekrutierte diese überall, ob im Supermarkt, im Fitness-Studio, auf der Straße
oder im Job und hatte keine Hemmungen, einen Mann anzusprechen, wenn er ihr
optisch zusagte. Ich bewunderte diesen Wesenszug an ihr. Obwohl ich in meinem
Beruf nicht auf den Mund gefallen war, gehörte ich privat zur zurückhaltenden
Fraktion und wäre vor Scham eher gestorben, als einen fremden Mann, der mir
gefiel, spontan zum Kaffee einzuladen.
Glücklicherweise
hatte Paul diesen Part vor drei Jahren übernommen, als er mich auf der Straße
beinahe umgerannt hatte und mir dabei die Handtasche auf den Gehweg gefallen
war. Er half mir beim Einsammeln der herausgefallenen Habseligkeiten - natürlich
musste ausgerechnet er die Schachtel mit den Tampons zu fassen bekommen - verschleppte
mich danach in die nächstgelegene Starbucks-Filiale und seitdem waren
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