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So unselig schön

So unselig schön

Titel: So unselig schön Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Löhnig
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zwanzig Titel.
    Liebe Viktoria – es stört dich doch nicht, wenn ich dich so anspreche –, ich hoffe, diese Liste hilft dir weiter. Sehr ans Herz legen möchte ich dir nochmals das Buch über die Symbolik der Natur. Ohne diese zu kennen, wird deine Facharbeit oberflächlich werden. Ich frage mich allerdings, ob du damit nicht zu spät dran bist. Das Schuljahr in Bayern ist doch beinahe zu Ende.
    Uuups, dachte Vicki. Erwischt.
    Es ist schon ein merkwürdiger Zufall, dass du bei deiner Internetrecherche ausgerechnet auf mein Auktionshaus gestoßen bist. Von übermorgen an bin ich wieder einmal für einige Tage in München. Wenn du Fragen hast, können wir uns treffen. Gerne auch in der Alten Pinakothek. Also, bis zum Wochenende? Ich würde mich sehr freuen.
    Herzliche Grüße
    Serge
    Ganz schön überzeugt von sich, dachte Vicki. Trotzdem war es nett, dass er sich die Mühe gemacht hatte, die Liste zusammenzustellen. Auch wenn sie ihr nichts nützte. Sie schickte ihm eine Antwortmail, in der sie sich bedankte, und schrieb, dass sie früh dran sei mit dem Thema für die Facharbeit, denn sie sei erst im nächsten Schuljahr fällig.
    Von ihren Jahren auf dem Gymnasium war ihr in Erinnerung geblieben, dass man dafür sechs Monate Zeit hatte, es musste also schon was Aufwendiges sein. Die Frage nach der Verabredung ließ sie unbeantwortet. Die Pizza war fertig.
    Vicki aß sie auf der Terrasse. Sie nahm Epiktet mit und setzte ihn auf den sonnenerwärmten Kiesstreifen zwischen Rasen und Haus.
    Heute ärgerte sie sich, dass sie nach Omas Tod das Gymnasium geschmissen hatte. Sie war gut gewesen und hätte das Abi geschafft. Dann könnte sie heute Sprachen studieren oder worauf sie sonst Lust hätte.
    Den Übertritt aufs Gymnasium verdankte sie wohl den Genen ihres Vaters. Ganz sicher nicht denen ihrer Mutter. Allein der Gedanke, dass sie irgendeine Ähnlichkeit mit ihrer Mutter haben könnte, verursachte Vicki beinahe Übelkeit. Niemals würde sie werden wie sie.
    Manchmal malte sie sich einen Vater aus. Nicht so einen, wie er immer aus Omas spärlichen Worten erstanden war, wenn sie Vickis Drängen nachgegeben hatte.
    »Deine Mutter wusste selbst nicht, wer dein Vater ist. Vermutlich einer dieser ungewaschenen Nichtsnutze, mit denen sie sich herumtrieb, oder einer der Kerle, die sich blutjunge Dinger kaufen. Sie war ein Flittchen, hat sich prostituiert und … Ach, lassen wir das«, hatte Oma gesagt und hinzugefügt, sie würde niemals zulassen, dass Vicki wie ihre Mutter werde.
    Da bestand ja nun wirklich keine Gefahr. Wer aber war ihr Vater? Einer der Freier, die sich an minderjährigen Mädchen vergriffen, oder ein Typ aus Hermis Clique, mit dem sie damals in einer armseligen und völlig verdreckten Wohnung gehaust hatte. Sechzehn war sie gewesen, als sie schwanger geworden war, und dreiundzwanzig, als sie elend verreckt war. In ihrer eigenen Kotze hatte Vicki sie gefunden, als sie aufgewacht war, dort oben in dieser einsamen Berghütte.
    Der Pizzateller rutschte ihr beinahe von den Knien, sie fing ihn gerade noch ein. Würde sie das denn nie aus ihrem Kopf kriegen?
    Wenn man es nüchtern betrachtete, war Hermis Tod ein Glücksfall gewesen. Danach wuchs Vicki bei ihrer Oma auf, die sie liebte und verhätschelte, die immer da war, die ihr vorlas, mit ihr bastelte und Kuchen buk, die mit ihr ins Kino und in den Zoo ging. Sechs Jahre voller Liebe, bis Oma dann im Winter auf einem nicht geräumten Gehweg ausrutschte. Hirnblutung. Drei Tage im Koma, und das war es dann gewesen.
    Das Handy begann zu klingeln. Vicki stellte den Teller ab, verscheuchte die Erinnerungen und zog das Mobilteil aus der Tasche. »Hallo.«
    »Hi. Hier ist der Kai. Wie geht’s?«
    »Passt schon. Du rufst wegen der Paris-Bilder an …«
    »Klar. Ist dein Freund denn da?«
    Irgendwie schon, dachte Vicki. In ihrer Erinnerung würde Adrian nie sterben. »Nein …«
    »Schade. Kannst du mir seine Handynummer geben?«
    »Geht leider nicht. Er hat kein Handy, und er braucht auch keines mehr. Er ist tot.« Zum ersten Mal hatte sie das klar und deutlich ausgesprochen. Und die Welt brach nicht erneut über ihr zusammen. Es ging. Sie konnte es sagen. Es tat zwar weh, wie immer, wenn sie an Adrian dachte. Aber die Wut, die sie anfangs beherrscht und dann lange wie ein Schatten begleitet hatte, war weg.
    »Sorry, das tut mir leid. Konnte ich ja nicht wissen. Aber weshalb hast du mir das nicht gesagt?« Kai klang verunsichert.
    »Ich war dabei, als Adrian die

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