So unselig schön
in ihm brannte. Diese Wut, von der er nicht wusste, woher sie kam, woraus sie ihre Nahrung bezog, weshalb sie weiter und weiter gedieh. Diese Wut, die ihn zu einem anderen machte. Diese Wut, die er mit diesem Bild zu bannen versuchte.
Er ließ die Arme fallen, stand auf, ging im Atelier hin und her, schaltete die Musik ein und dann wieder aus. Die Stille umfing ihn, und doch brüllte etwas in ihm. Er war ein Raubtier, das in seinem Käfig tobte, ausbrach, Beute schlug und dann wieder in sein Gefängnis zurückkehrte.
Auf und ab, hin und her, von einer Wand zur anderen. Doch Ruhe wollte sich nicht einstellen. Er legte eine CD mit einem besänftigenden Klavierkonzert in die Musikanlage, ging weiter und blieb vor der anderen Staffelei mit der Vorlage, die er kopierte, stehen. Gleich den Gesichten, die, aus Schatten fahl entlassen, unsere Blicke fangen, ruht still das Haupt mit dunkler Haare Massen … Sein Blick glitt über den Körper. Etwas vibrierte in ihm. Eine Saite, von unsichtbarer Hand angeschlagen. Jede Sehne seines Körpers war gespannt. Er sog das Bild in sich auf, jedes Detail. Die bleiche Schulter, von Adern durchzogen wie marmoriert, den dünnen Arm mit seinen feinen blonden Härchen, die Hand mit langen, schmalen Fingern. Die Nägel mit …
Die Nägel!
Sie waren lackiert! Rosa!
Er brüllte wie ein verwundetes Tier, fegte das Bild von der Staffelei, hob es auf, schleuderte es gegen die Wand, trampelte darauf herum und ließ sich erschöpft in den Sessel fallen.
Er musste es wieder tun.
Er würde es wieder tun.
Erst als er das akzeptiert hatte, fiel alle Spannung von ihm ab.
D ONNERSTAG , 10. J UNI
Der Mann auf dem Mittelsitz klappte das Tischchen herunter. Eine Stewardess bot Frühstück an. Dühnfort bestellte Kaffee und bekam einen Becher sowie ein Stück Gebäck gereicht, das in Plastikfolie eingeschweißt war. Was sollte das sein?
Die Farbe des Kaffees wurde schlammig, als Dühnfort Kaffeesahne hineinrührte. Erstaunlicherweise schmeckte das Gebräu besser, als es aussah. Das rätselhafte Gebilde entpuppte sich als Croissant, hatte jedoch nichts mit dem luftigen und knusprigen Gebäck gemein, das Dühnfort sich darunter vorstellte. Es war kalt, von gummiartiger Konsistenz und roch nach Plastik. Darauf zu verzichten bedeutete keine Kasteiung.
Pünktlich um zwanzig nach sieben setzte das Flugzeug auf einer Landebahn des Düsseldorfer Flughafens auf. Während es zum Terminal rollte, wappnete Dühnfort sich für den Tag. Am Nachmittag würde er einige Kartons voller Akten mit nach München nehmen und hoffentlich brauchbare Erkenntnisse.
Die Maschine dockte am Finger an. Kurz darauf ging Dühnfort am Baggage-Claim vorbei direkt in die Ankunftshalle. Am Infopoint stand eine Frau mit rotem Lockenkopf. Das musste Susanne Henke sein. Sie können mich gar nicht übersehen. In der Schule nannten sie mich Feuermelder. Das war ihre Antwort auf seine Frage gewesen, woran er sie erkennen würde.
Suchend sah sie in die Schar der Neuankömmlinge, fing seinen Blick auf und ging auf ihn zu, nachdem er ihr ein Zeichen gegeben hatte. Sie war etwa in seinem Alter, trug Chinos wie er, ein schwarzes T-Shirt und einen Baumwollblazer, unter dem sich das Holster der Dienstwaffe abzeichnete. Die schulterlangen Locken leuchteten kupferrot, die Augen strahlten grün darunter hervor.
» KHK Dühnfort, nehme ich mal an.« Sie reichte ihm die Hand. » KHK Henke.«
»Freut mich.«
»Ich weiß nicht, wie das bei Ihnen in München ist, wir Kollegen in Düsseldorf duzen uns.«
»Das ist bei uns nicht anders. Tino.«
»Susanne.« Sie lächelte. »Greifen wir an. Zuerst zum Fundort, dann ins Präsidium, oder hast du andere Wünsche?«
»Das Programm ist in Ordnung.«
»Während der Fahrt informiere ich dich über die wesentlichen Fakten.«
Sie gingen zum Parkdeck und stiegen in einen schwarzen Audi, den Susanne sicher durch den dichten Berufsverkehr steuerte. Am Ringfinger der rechten Hand trug sie einen Ehering. In der Ablage über dem Handschuhfach lag eine Haarspange, pinkfarben und mit einem kleinen Papagei verziert. Susanne bemerkte seinen Blick. »Die gehört meiner Jüngsten.«
»Hübsch«, meinte er. »Es ist sicher nicht einfach, unseren Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen.«
»Doch, das geht eigentlich ganz gut.« Sie bog auf die Autobahn ein und warf ihm dann einen Blick zu. »Wenn man den richtigen Partner hat«, ergänzte sie. »Mein Mann ist ein Kollege. Genauer gesagt war er mal mein
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