So unselig schön
Bilder gemacht hat. Deine Fragen kannst du also mir stellen. Was willst du wissen?«
Über eine Stunde unterhielten sie sich. Vicki erklärte ihm, wie sie es, als Bautrupp getarnt, geschafft hatten, unbehelligt in die Kanalisation von Paris einzusteigen und sich dort zu orientieren. Adrian hatte Philosophie und Französische Literatur studiert und daher Zugang zu Bibliotheken und Archiven. In einem war er auf die Kanalisationspläne eines Arrondissements gestoßen und hatte sie kopiert. Sie stammten zwar aus dem neunzehnten Jahrhundert, aber allzu viel hatte sich seither in dieser Unterwelt nicht verändert. Die Kopien besaß sie noch. »Wenn du magst, kannst du sie haben.«
»Das wäre klasse. Danke. Hast du mit dem bearbeiteten Bild eigentlich was anfangen können?«
»Ging so.«
»Spielst du da irgendwie Detektiv oder was?«
Das ging ihn nun nichts an. »War nur eine blöde Idee. Die Sache hat sich heute erledigt.«
Die Sonne war futsch, es wurde kühl, Epiktet musste rein. »Also, Kai, ich muss jetzt Schluss machen. Wegen der Kopien rufe ich dich an, sobald ich sie rausgesucht habe.«
***
Bei dem Opfer vor sechs Jahren, dessen stark verweste Leiche man erst Monate später gefunden hatte, handelte es sich um die Prostituierte Svenja Lenhard, dreiundzwanzig Jahre alt, wohnhaft in Düsseldorf-Unterbilk. Der Leichenfundort befand sich in einem Waldgebiet nahe der A 52 . Verschwunden war die Frau an einem schönen Tag im Juli 2004 . Gefunden wurde sie von einem Wanderer an einem nebligen Novembertag desselben Jahres. Diese Informationen hatte Dühnfort bisher von KHK Susanne Henke erhalten, der leitenden Ermittlerin in diesem Fall.
»Wenn Sie Zeit haben, würde ich die Akten gerne selbst holen, den Fall mit Ihnen durchgehen und mir den Fundort ansehen«, sagte Dühnfort. Er saß in seinem Büro, das Handy am Ohr, den Blick auf den Monitor gerichtet, der eine Website mit den Flugverbindungen nach Düsseldorf anzeigte.
»Eigentlich nicht. Aber ich nehme sie mir. Dieser ungelöste Fall ist eine Nadel in meinem Nadelkissen, wenn Sie verstehen, was ich meine«, sagte Susanne Henke. »Wann wollen Sie kommen?«
»Am liebsten möglichst früh. Kurz nach sechs geht ein Flug. Um acht könnte ich bei Ihnen sein.«
»Geben Sie mir die Flugnummer durch. Ich hole Sie ab.«
»Danke, das ist sehr nett.« Dühnfort gab ihr die gewünschte Auskunft.
»All die Jahre habe ich das ungute Gefühl gehabt, dass der Täter von damals noch einmal zuschlägt, und nun ist es anscheinend so weit.«
»Weshalb dachen Sie das?«
Einen Moment schwieg Susanne Henke. »Eine Frau zu enthaupten, das ist ultimativ, machtvoll, vernichtend. Da spielen entweder große Emotionen eine Rolle, was ich in diesem Fall nicht glaube, oder kalte Berechnung. Dann geht es nicht um ein bestimmtes Opfer, sondern um die Tat an sich.«
»In der Nähe von Svenjas Leiche wurde ein rosa Strumpf gefunden. Haben Sie herausgefunden, woher er stammt?«
»Nein. Das Etikett fehlte. Wir haben Fotos an Hersteller verschickt. Ergebnislos. Allerdings hat unsere KTU eine interessante Entdeckung gemacht. Der Strumpf wurde mit Betanin gefärbt. Das ist der Farbstoff, der in Rote Bete vorkommt. Sie können sich morgen die Unterlagen ansehen. Ich muss jetzt los. Meine Kinder warten.«
Dühnfort verabschiedete sich. Anschließend buchte er den Flug, informierte Leyenfels über den Gang der Ermittlungen und schrieb Gina und Alois Mails, in denen er sie über seinen Flug nach Düsseldorf unterrichtete und ihnen auftrug, die Überprüfung der Jaguarfahrer voranzutreiben. Es gab ohnehin nur neunundzwanzig Fahrzeuge, auf die Schacks Beschreibung passte. Dann schickte er eine Mail an Buchholz, in der er ihn zu prüfen bat, ob der Strumpf, den Nadine getragen hatte, ebenfalls mit Betanin gefärbt worden war.
Auf dem Heimweg ging ihm die Sache nicht aus dem Kopf. Welche Bedeutung hatte die Farbe des Strumpfes für den Täter? Natürlich waren Strümpfe Symbol des Weiblichen, verführerisches Requisit einer Frau. Einer Geliebten, einer Ehefrau, einer Angebeteten, die ihn verschmäht hatte? Galt ihr ein tödlicher Hass, eine unzähmbare Wut, eine vernichtende Rache? Waren Svenja und Nadine stellvertretend für eine Frau gestorben, die der Täter nicht töten konnte, weil sie vielleicht bereits verstorben oder unerreichbar war? Unerreichbar im geographischen Sinn? Vielleicht lebte sie in einem anderen Land, auf einem anderen Kontinent. Oder war sie ihm, ganz im Gegenteil, zu nah?
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