So unselig schön
Sie mit einem Kaffee versorgen oder was auch immer Sie trinken möchten.«
Vicki wehrte ab. »Danke, ist nicht nötig.« Sie ging an ihm und der Tussi vorbei, die einen ungläubigen Blick auf die Zwiefachgenähten warf, und setzte sich im Büro auf eines der beiden hellen Sofas, die sich dort gegenüberstanden. Der Rock rutschte hoch. Sie schob ihn wieder runter. Ihr Busen erschien ihr zu groß unter dem hellblauen T-Shirt. Sie schlüpfte in die Lederjacke, zog sie enger um sich und sah sich dann um. Der Raum gefiel ihr. Nicht Prunk und Protz, sondern Klarheit beherrschte ihn. Trotz ihrer Schlichtheit sah die Einrichtung abartig teuer aus. Vermutlich hatte allein das Sofa so viel gekostet, wie sie für das Therapeutische Reiten brauchte. Sollte also kein Problem sein, das Geld zu bekommen.
Wo er nur blieb? Vicki hielt es nicht länger auf dem Sofa. Sie nahm den Rucksack vom Schoß, stellte ihn auf dem Boden ab und ging ans Fenster. Unten fuhr die Straßenbahn durch die Maximilianstraße. Gegenüber war die Oper. Wie es wohl da drinnen aussah?
Sie wandte sich wieder ab. Dabei entdeckte sie einen Block, der aufgeschlagen auf dem Schreibtisch lag. Das oberste Blatt war halb vollgeschrieben. Ob sie einen Blick riskieren sollte? Sie lauschte, hörte aber weder Stimmen noch Schritte. Wernegg konnte jeden Augenblick reinkommen. Trotzdem zog irgendeine Kraft sie um den Tisch herum. Die Handschrift war steil und eng. Erleichtert stieß Vicki einen Seufzer aus. Okay, Wernegg war es nicht. Die Worte Buthler, 19.00 Uhr hatte hundertpro ein anderer geschrieben. Eilig verließ Vicki den Platz hinter dem Schreibtisch.
An der Wand hing ein Gemälde. War das eines dieser Bilder? Natura morta. Vanitas. Sie trat näher. Eine brennende Kerze vor einem Spiegel, die Flamme flackerte so, als würde sie jeden Augenblick verlöschen, und dann wäre alles aus. Alles verschwunden. Das Buch, dessen Seiten der Wind umblätterte, der Tisch, auf dem es lag, der Leuchter, der Spiegel. Alles weg, zu nichts geworden, als wären sie nie gewesen. Es war ein so trauriges Bild. Vicki umfasste ihre Ellenbogen mit den Händen und kämpfte die Tränen nieder, von denen sie nicht wusste, woher sie so plötzlich kamen.
»Es ist wunderschön, nicht?«
Sie fuhr herum. Wernegg stand hinter ihr und betrachtete das Gemälde.
»Schon. Aber auch traurig.«
»Diese Melancholie sehen nicht viele.« Lächelnd deutete er auf das Sofa. »Setzen wir uns doch.«
Sein Blick blieb am Kragen der Lederjacke hängen. Lammfell im Juni, schien er zu denken.
»Darf ich Ihnen die Jacke abnehmen?«
»Ist nicht nötig.« Vicki zog das brüchige Leder enger um sich und setzte sich, während er auf dem Sofa gegenüber Platz nahm.
»Sie sind also auf der Suche nach einem Sponsor für eine Reittherapie. In welchem Kinderheim arbeiten Sie denn und in welcher Funktion?«
Uuups. Katja Schön musste da etwas falsch verstanden haben. Obwohl, eigentlich hatte sie ja nicht gesagt, dass sie nicht in dem Heim arbeitete, nur, dass sie Kohle für die Kids wollte. Wenn er jetzt verärgert wäre, weil er sich getäuscht fühlte und dachte, sie habe ihm was vorgegaukelt? Mist! Sie konnte doch einfach behaupten, dass sie im St.-Michael-Haus Erzieherin war oder Praktikantin oder so. Doch etwas hielt sie zurück.
Wernegg sah sie abwartend an.
Vicki ließ die Arme in den Schoß sinken. »Sorry. Da hat Ihre Mitarbeiterin etwas falsch verstanden. Ich arbeite nicht im St.-Michael-Haus. Ein paar Jahre habe ich selbst dort gelebt. Jetzt mache ich eine Ausbildung und arbeite in meiner Freizeit ehrenamtlich für das Heim. Die Leiterin ist aber über den Termin heute hier bei Ihnen informiert. Also, ich mache das nicht auf eigene Faust.«
Interessiert war er ihrer Ausführung gefolgt. »Warum machen Sie das?«
Was meinte er jetzt? Dass sie ohne Bezahlung im Heim mithalf oder dass sie für eine Finanzspritze sorgen wollte? Sollte sie ihm eine ehrliche Antwort geben? Die Antwort, die sie sehr wohl kannte, die aber wenig schmeichelhaft war? »Ganz ehrlich? Wenn ich diesen Kindern helfe … irgendwie hilft das auch mir.« Verdammter Mist! Hatte sie das wirklich gerade gesagt? In seinen braunen Augen waren grüne Sprenkel. Weshalb fiel ihr das nun auf?
»Es hilft Ihnen zu helfen. Das ist ein schönes Gefühl. Ehrlich gesagt weiß ich nicht, was eine Reittherapie ist. Können Sie mir das kurz erklären?«
Uff. Sicherer Boden unter den Füßen. Vicki erläuterte ihm, wie eine solche Therapie
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