So unselig schön
funktionierte, dass der Umgang mit den Pferden das Vertrauen und das Selbstbewusstsein der Kinder stärkte und ihnen so half, ihre Erlebnisse zu bewältigen. »Ich habe eine Präsentation für Sie vorbereitet. Wollen Sie sich die mal ansehen? Dafür müsste ich allerdings an Ihren PC , die Datei ist auf dem Stick.«
»Kein Problem.« Wernegg deutete auf den Schreibtisch.
Sie bückte sich und kramte den USB -Stick aus dem Rucksack. Dass er sich überhaupt die Zeit nahm, ihr zuzuhören. Sicher gab es wichtigere Leute. Vom Roten Kreuz oder der Caritas oder sonstigen Wohlfahrtsvereinen, die sein Geld wollten. Aber bestimmt auch andere Summen, als sie ihr vorschwebten.
Während sie den Stick an seinen PC stöpselte und das Programm startete, riskierte sie nochmals einen Blick auf den Block. Ganz klar: Er hatte die Notiz auf der Postkarte auf keinen Fall geschrieben.
In der folgenden Viertelstunde erläuterte sie Wernegg den Ablauf einer Reittherapie und ihre Wirkung sowie die Schicksale ihrer vier Sorgenkinder; das des vom Vater missbrauchten Nico, das der fast verhungerten Sabrina, das der misshandelten Jessica und das von Peter, dessen Mutter in seiner Gegenwart Selbstmord verübt hatte. Sie verwies nochmals auf die heilenden Kräfte, die der Umgang mit Tieren für die Kinder haben würde, und war damit am Ende angelangt. Atemlos.
Er hatte sie nicht einmal unterbrochen. Hatte er überhaupt zugehört, verstanden, worum es ging? Um vier Kinder, die Grauenhaftes erlebt hatten, denen man helfen musste! Was würde er sagen? Erwartungsvoll drehte sie sich zu ihm um.
Sein Gesicht war wie versteinert.
Mist! Was hatte sie falsch gemacht?
Er fuhr sich mit der Hand über das Kinn und stieß einen Seufzer aus. »Grauenhaft, was diese Kinder durchgemacht haben. Die Stiftung wird die Therapie bezahlen. Aber vorher möchte ich gerne das Heim besichtigen.«
Vicki traute ihren Ohren nicht. Super! »Ja, klar. Das lässt sich machen. Wann denn?«
»Geben Sie mir Ihre Nummer. Ich rufe Sie an.«
Das klang nach fauler Ausrede. Don’t call us. We call you. Trotzdem kritzelte sie ihre Telefonnummer auf einen Zettel. »Sie rufen wirklich an, ja?« Okay, das war jetzt nicht cool gewesen. Aber es hing so viel davon ab.
In seinen Augen ging eine Veränderung vor sich, sie wurden zu tiefen dunklen Seen. »Keine Sorge, ich halte mein Wort. Es ist unglaublich, was diese Kinder erlebt haben. Wir werden ihnen helfen, das zu bewältigen und zu lernen, dass sie – auch wenn sie das Gegenteil erfahren haben – liebenswert und einzigartig sind und vor allem dass sie keine Schuld an dem tragen, was ihre Eltern ihnen angetan haben.«
»Warum tun Sie das?«, fragte Vicki.
»Weil Sie mich darum gebeten haben.« Ein schelmisches Lächeln blitzte in seinen Augen auf.
»Ich meine, überhaupt.« Sie standen sich gegenüber, und sie nahm die feinen Falten um seine Augen wahr und das glattrasierte Kinn mit dem Grübchen in der Mitte.
»Ganz ehrlich?«
»Klar.«
»Weil ich die Möglichkeit habe, weil ich glaube, dass Eigentum verpflichtet, und weil es ein schönes und befriedigendes Gefühl ist zu helfen. Ich habe mehr Geld, als ich jemals brauchen werde, und kann mit einem Bruchteil davon ein sorgenfreies Leben führen. Der Rest ist für die bestimmt, mit denen es das Leben nicht so gut gemeint hat. Ein paar tausend Euro für die Reittherapie sind lächerlich wenig im Vergleich zu dem, was damit zu erreichen ist.«
Ein paar tausend Euro waren schweineviel Geld. Gut, für ihn nicht. War eben alles eine Frage der Perspektive. Zeit, einen Knicks zu machen und danke schön zu sagen. »Ich bin froh, dass den Kids endlich geholfen wird. Also, danke.« Während sie das sagte, blieb ihr Blick an seinem linken Ohr hängen. Darin steckte ein kleines Plastikding. Sah aus wie ein Hörgerät.
»Ist es zu indiskret, wenn ich frage, weshalb Sie im St.-Michael-Haus gelebt haben?«
Hatte sie das gerade richtig verstanden? Schlagartig rutschte ihre Euphorie auf null Grad, als wäre eine sibirische Kaltfront in einen strahlenden Frühlingstag eingefallen. Vicki umfasste die Ellenbogen mit den Händen, riegelte sich ab.
Sofort schien ihm seine Frage peinlich zu sein. »Verzeihen Sie. Ich wollte nicht neugierig sein.«
Glaubte er jetzt, er hätte ein Recht darauf, in ihre geheimen Verliese zu gucken? Seelenstriptease gegen Kohle für die Kids? So ein Arsch. Sie prostituierte sich nicht. Nee, wirklich nicht! Das konnte sie natürlich nicht sagen. Aber sie konnte
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