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So unselig schön

So unselig schön

Titel: So unselig schön Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Löhnig
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weckte Erinnerungen. Doch sie wollte sich nicht erinnern!
    Ihr Blick blieb an einem der Gemälde hängen, und sie trat näher, um es zu betrachten. Ein welkender Strauß in einer Vase, daneben eine Perlenkette auf dunklem Holz, die beinahe über die Tischkante zu Boden glitt; goldene Ringe und Armbänder verschwanden in einem Schatten; eine verlöschte Kerze, deren Docht noch glimmte; ein Rauchfaden, der im Luftzug verwehte, ein geleertes Glas. Wieder so ein Bild, das ihr beinahe die Tränen in die Augen trieb. Vielleicht war sie wirklich eine Romantikerin. »Wow. Schon wieder so ein schöntrauriges Bild.« Sie konnte den Blick nicht abwenden, dachte wieder an die Parallelwelten und was es noch alles zu entdecken gab.
    Jobst trat neben sie. »Es ist zurzeit mein Lieblingsbild. Ich habe es erst vor drei Wochen bei einer Auktion ersteigert. Bei Serge übrigens.«
    »In Hamburg?«
    »Natürlich in Hamburg. Das war ein spannender Abend. René, ein Freund von mir …«
    »Der, dessen Frau fremdgeht?«, unterbrach ihn Vicki.
    »Stimmt. Ich habe dir ja von ihm erzählt.«
    »Hast du eigentlich das Tennismatch gewonnen?«
    »Haushoch. René war wirklich nicht gut drauf. Dass Verena ihn betrügt, macht ihn fast wahnsinnig. Und dann ist ihm letzte Nacht auch noch sein Auto gestohlen worden. Heute Morgen habe ich ihn deswegen zur Polizei begleitet, nachdem ich ihn überredet hatte, den Diebstahl anzuzeigen.«
    Vicki wunderte sich. »Hat er so viel Kohle, dass ihm das egal ist?«
    Die Augen von Jobst wurden eine Nuance dunkler. »Das hat andere Gründe. Er steckt ein wenig in Schwierigkeiten und denkt, dass der Diebstahl alles noch verschlimmert. Wie gesagt, es ist etwas kompliziert.« Sein Blick ging zurück zur Leinwand.
    Vickis folgte ihm. »René wollte das Bild auch, und du hast es ihm vor der Nase weggeschnappt?«, fragte sie.
    »Das war eine regelrechte Schlacht.«
    »Aber du hattest die stärkeren Waffen, sprich das dickere Bankkonto?«
    Damit entlockte sie Jobst ein Schmunzeln. »Eigentlich habe ich zu viel dafür bezahlt. Aber ich wollte es unbedingt haben.«
    »Und dein Freund ist jetzt sauer?«
    »Nicht wirklich. Ich habe ihm uneingeschränktes Besuchsrecht eingeräumt.«
    »Hat er auch geerbt? Einfach mal so nach Hamburg jetten, alte Bilder kaufen, in tollen Hotels wohnen … wo wohnt man denn da?«
    Eine Spur von Verwunderung erschien auf Jobsts Gesicht. Vicki schämte sich sofort. Sie hatte Dühnfort versprochen, die Finger davon zu lassen, und das würde sie auch tun.
    »René ist Arzt. Schönheitschirurg, um genau zu sein.« Jobst sah zum Tisch. »Sag mal, hast du nicht langsam Hunger?«
    Doch, jetzt, wo er fragte, merkte Vicki, wie hungrig sie war. Eine Breze und ein Sandwich. Mehr hatte sie heute noch nicht gegessen. Sie setzten sich. Jobst schenkte Champagner nach und reichte ihr die Platte mit den Antipasti.
    Zunächst unterhielten sie sich weiter über das Gemälde. Er erklärte ihr seine Bedeutung: Es war eine Mahnung, sich der eigenen Vergänglichkeit bewusst zu sein.
    Und auch der der anderen, dachte Vicki. Sein Vater war gestorben, als er sechs gewesen war. Und seine Mutter war ebenfalls zu jung zum Sterben gewesen. Vielleicht sammelte er deshalb diese Bilder. Von seiner Mutter konnte er allerdings nicht allzu viel gehabt haben. Sie war in Afrika gewesen und er im Internat. Schon mit zehn Jahren. Also kann seine Kindheit sicher nicht so toll gewesen sein. Oder? Vielleicht sollte er darüber mal ein wenig nachdenken. Sie dagegen hatte gestern noch gegrübelt, um eine schöne Erinnerung an ihre Mutter zu finden. Danke. Hatte nichts gebracht. Außer einem Alptraum, der die Erinnerungen an die Berghütte aus den tiefsten Eingeweiden ihrer Erinnerungen gewühlt und nach oben gespült hatte, ausgekotzt sozusagen.
    Sie konnte es nicht lassen und fragte Jobst, ob er denn inzwischen ein wenig an der Goldpolitur seiner Kindheitserinnerungen gekratzt habe. Nachdem ihr das Schürfen nur einen Alptraum beschert hatte, sei das eine faire Frage.
    »Doch. Das habe ich, und ich kann mich erinnern, dass meine Mutter mich eines Abends allein zu Hause gelassen hat und dass ich das schrecklich fand. Ich habe einen ziemlichen Aufstand deswegen gemacht. Doch sie hat mir erklärt, ich sei kein kleiner Junge mehr, sondern der Mann im Haus. Dann ist sie gegangen, und ich habe mich weinend ins Bett verkrochen. Das muss kurz nach dem Tod meines Vaters gewesen sein.«
    »Aber da warst du doch erst sechs. Ein kleiner Junge. Von

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