So unselig schön
hilfsbedürftige Kinder in Afrika engagiert. Über zwanzig Jahre lang. Die meiste Zeit des Jahres hat sie sich dort aufgehalten und dabei übersehen, dass auch unsere Gesellschaft sich in eine Richtung entwickelt, in der hungernde, misshandelte, verwahrloste und vernachlässigte Kinder keine Seltenheit mehr sind. Es war an der Zeit, an sie zu denken. Deshalb habe ich die Stiftung gegründet.«
»Und was ist mit dem afrikanischen Projekt? Machst du das auch noch?«
»Das führt die engste Mitarbeiterin und Freundin meiner Mutter fort. Ich habe es an sie übergeben. So kann ich mich ganz der Stiftung widmen.«
Komisch, dachte sie, das Lebenswerk seiner Mutter einfach so wegzugeben, fragte jedoch nicht weiter nach. Das ging sie nichts an. Zögernd stand sie auf und griff nach ihrem Rucksack.
»Du willst schon gehen?«
Eigentlich wollte sie das nicht.
»Sollten wir nicht erst noch darauf anstoßen?« Er deutete auf den Antrag.
Okay, dachte Vicki. Das ist nur höflich. Guter Benimm, wie Clara sagen würde. »Gut.«
»Aber nicht mit Leitungswasser, oder?« Jobst schmunzelte. »Im Kühlschrank müsste eine Flasche Prosecco liegen, oder magst du lieber Champagner?«
»Wenn schon, dann Champagner«, platzte sie heraus.
Aus dem Schmunzeln wurde ein Lachen. »Dauert allerdings ein paar Minuten.« Jobst ging zum Telefon, wählte eine Nummer und bestellte eine eisgekühlte Flasche. »Vielleicht sollten wir eine Kleinigkeit dazu essen?« Diese Frage galt Vicki.
Etwas zu essen war sicher nicht verkehrt. Sonst wäre sie gleich beschwipst. »Gute Idee.«
»Italienisch? Gemischte Vorspeisen und vielleicht ein wenig Pasta?«
»Prima.« Weshalb gingen ihr jetzt die Worte aus?
Während Jobst die Bestellung aufgab, blickte sie aus dem Panoramafenster in den Garten, beobachtete den Regen und die Wolken, die der Wind über den Himmel schob. Plötzlich riss die Wolkendecke auf, ein Fleck Saphirblau erschien. Sonnenstrahlen drangen durch die kurzzeitig entstandene Öffnung, fielen auf die Oberfläche des Teichs, auf der noch immer Regentropfen sprangen, tanzten und nun funkelten wie Diamanten, während der Garten dahinter in tiefem Blaugrün versank. Ein Bild wie aus einer Märchenwelt. Vicki stürzte zum Rucksack, zog die Kamera heraus und schaltete sie ein. Dann schob sie die Tür zum Garten auf, lief auf die Terrasse und warf sich bäuchlings auf den Holzbelag. Es blieben nur Sekunden, bis die Wolkendecke sich wieder schloss, aber es gelang ihr, eine Aufnahme zu machen.
Natürlich war das T-Shirt nicht mehr sauber, als sie aufstand. Egal. Es hatte eh so eine undefinierbare Farbe, da fiel das nicht weiter auf, und das Bild war es wert gewesen. Sie betrachtete es auf dem Display, als Jobst hinter sie trat und ihr über die Schulter sah. »Du bist ja eine Romantikerin. Und du wirst ganz nass.«
Sie gingen hinein. Durch die offene Tür zog der Duft nach feuchten Blättern und nassem Gras herein. »Ist das dein Hobby?« Jobst deutete auf die Kamera.
Sie erzählte ihm, wie sie dazu gekommen war, und auch vom Urban Exploring, von der Faszination aufgelassener Industriebrachen, baufälliger Häuser, einsturzgefährdeter Fabriken, bis es klingelte. Jobst entschuldigte sich und ging zur Tür. Vicki hörte, wie er jemanden in die Küche führte. Einige Augenblicke später kehrte er ins Wohnzimmer zurück, gefolgt von einem Kellner, der sie grüßte und einen beschlagenen Champagnerkühler samt Flasche auf den Tisch stellte. Der Mann deckte auch noch den Tisch, füllte die Gläser, servierte die Vorspeisen und erklärte, die Gnocchi stünden auf der Warmhalteplatte in der Küche. Dann verabschiedete er sich. Jobst brachte ihn zur Tür.
Vicki hatte diesen Auftritt ungläubig verfolgt. Diese Nummer war ja echt too much. Sie war tiefer in die weichen Sofakissen gesunken, aus denen sie nun wieder auftauchte, als Jobst zurückkehrte, nach den Gläsern griff und ihr eines reichte. »Auf die Reittherapie für deine Schützlinge und darauf, dass sie die erwünschte Wirkung hat.«
Zum Telefon greifen und sich bedienen lassen. Wie das auf Leute wirkte, die solchen Luxus nicht kannten, war ihm offensichtlich nicht klar. Obwohl im Gegensatz zu ihr vermutlich die meisten beeindruckt wären. Ziemlich verdrehte Hirnwindungen heute, dachte Vicki und stieß mit ihm an. Der Champagner war eiskalt, perlte auf den Lippen und im Mund. Vor über zwei Jahren hatte sie zum ersten und bis heute auch zum einzigen Mal Champagner getrunken. Der Geschmack
Weitere Kostenlose Bücher