So unselig schön
Einbauschränken aus dunklem Holz. Eigentlich konnte man das nicht mehr Flur nennen; Vickis Wohnung war kleiner.
Vor dem Spiegel stand ein ganz in Schwarz gekleideter Mann, der in einen Trenchcoat schlüpfte. Als Vicki eintrat, wandte er sich von seinem Spiegelbild ab.
»Serge, darf ich vorstellen? Vicki Senger.«
Das auch noch! Mist! Mist! Mist! Vicki verzog keine Miene, ließ sich den Schreck nicht anmerken, der für eine Sekunde wie ein elektrischer Schlag durch sie schoss.
»Sie engagiert sich für ein Kinderheim«, fuhr Jobst fort. »Vicki, Serge Buthler, Galerist aus Hamburg. Ich kaufe gelegentlich Bilder bei ihm.«
Buthler kam auf sie zu. Das Lächeln war freundlich, die blauen Augen jedoch kühl. Ein gepflegter Dreitagebart spross auf den Wangen. Während er Vicki die Hand reichte, musterte er sie mit einem raschen Blick vom Scheitel über die Fliegerjacke und die am Knie eingerissene Jeans bis hin zu Claras Sneakers. »Vicki? Wie Viktoria?«
»Nee. Wie Vicki Leandros. Meine Mutter war ein Fan.«
Buthler lachte. »Da teilen wir ein Schicksal. Meine ist ein Fan von Serge Gainsbourg.«
Einer Gewohnheit folgend fuhr Vicki sich durch die Haare. In der feuchten Luft hatten sie sich bestimmt wie Drahtwolle gekringelt. Ganz ungeniert taxierte Buthler sie weiterhin.
»Sie haben sehr schönes Haar. Wenn Sie den Kopf so in den Nacken legen, dann erinnert mich das an ein Gemälde von Franz von Stuck. Salomé. Kennen Sie es?«
»Ich habe keine Ahnung von Kunst.« Was für ein Freak, dachte sie.
»Sehen Sie es sich bei Gelegenheit an. Sie finden es im Lenbachhaus.« Er schien noch etwas sagen zu wollen, griff dann aber nach einem Aktenkoffer, der vor dem Spiegel stand.
Jobst brachte ihn zur Tür. »Soll ich dir ein Taxi rufen?«
»Danke, nicht nötig. Ich habe mir einen Wagen geliehen.« Buthler reichte Jobst die Hand und verabschiedete sich dann von Vicki, wobei er ihr in die Augen sah. Fragend, forschend. Vicki hielt diesem Blick stand. Als Jobst kurz darauf die Tür hinter Buthler schloss, atmete sie auf. Uff, gutgegangen. Vermutet hatte er zwar etwas, aber wie sollte er schon rauskriegen, dass sie diejenige war, die sich als Viktoria Mohn ausgegeben hatte? Dühnfort hielt sicher dicht. Doch plötzlich fiel ihr ein, dass es ganz einfach war. Er musste nur im Reisebüro auftauchen, den Namen kannte er ja. Einmal gegoogelt und er hatte die Adresse. Scheiße!
»Darf ich dir heute die Jacke abnehmen?«
Sie zog sie aus und reichte sie Jobst, der sie in einem Einbauschrank verstaute. Dann folgte sie ihm ins Wohnzimmer.
Es war ähnlich eingerichtet wie sein Büro in der Maximilianstraße. Hell, freundlich, teure moderne Möbel und an den Wänden einige alte Gemälde, die denen in seinem Büro ähnelten. Sie setzten sich an einen Tisch in der Nähe der Terrassentür. Der Regen hatte noch immer nicht nachgelassen. Die Blütendolden der Büsche und Stauden im Garten hingen schwer herab, die Oberfläche eines Teiches wogte unter dem Anprall der Tropfen, als tobten dicht unter ihr Ungeheuer.
Vicki zog den Antrag aus ihrem Rucksack und ging ihn mit Jobst durch. Er hatte noch einige Fragen, bat um zwei Ergänzungen, die er handschriftlich einfügte, und legte die zusammengehefteten Bogen dann beiseite. »Die Stiftung ist keine Behörde. Das genügt so. Im Laufe der Woche wird sich Lennart Weinrich, ein Mitarbeiter von mir, mit der Heimleitung in Verbindung setzen und die Details durchgehen. Du kannst die Reitstunden schon buchen.«
»Wahnsinn. Bis vor ein paar Tagen bin ich noch mit der Sammelbüchse rum und habe gedacht, ich bekomme das Geld für die Kids nie zusammen.«
Sie sah Peter vor sich, wie er sich bei ihrem bisher einzigen Besuch auf dem Reiterhof zunächst an ihre Beine geklammert, sich dann aber zögernd von ihr gelöst und sich Cabido, einem karamellfarbenen Pony, genähert hatte. Sie sah seine Hand vorsichtig das Fell berühren, dann streicheln und sich schließlich an den Körper des Pferdes lehnen, mit einem Seufzer, als sei ein klein wenig von der großen Last, die er trug, von ihm abgefallen.
»Danke.« Selten hatte sie dieses Wort so tief empfunden. Warum tat er das? Warum hatte er die Stiftung zu seinem Lebensinhalt gemacht? »Gestern hast du gesagt, dass du fortführst, was deine Mutter begonnen hat. Aber die Stiftung hast du doch erst nach ihrem Tod gegründet. Oder?«
Jobst faltete die Blätter zusammen und zog sie zwischen den Fingern hindurch, bis der Falz glatt war. »Sie hat sich für
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