So unselig schön
sein. Weshalb also der Suizid?«
»Ja, das ist das große Rätsel. Liebe und Abhängigkeit vom Peiniger? Eine Masochistin, der ihr Gegenpart abhandengekommen ist?«
Der Tonfall war ironisch, doch Dühnfort hörte den metallischen Anklang unterschwelliger Aggressivität.
»Ich weiß es nicht, und ganz ehrlich: Ich will es nicht wissen«, fuhr Lichtenberg fort.
»Weshalb?«
Mit einem Sprung kam Lichtenberg auf die Beine. »Weil sie mir am Arsch vorbeigeht, schon immer am Arsch vorbeigegangen ist und weil ich meine Zeit nicht damit verschwende, mich mit dieser Duckmäuserin, diesem Stück Dreck zu befassen, das sich von mir Mutter nennen ließ!«
Aber hallo, würde Gina jetzt sagen. Das fuhr Dühnfort durch den Kopf, während er aufstand, um mit diesem Hünen auf Augenhöhe zu sein. Wenigstens annähernd. »Es war also nicht nur die Beziehung zu Ihrem Vater problematisch …«
»Problematisch? Sie sind gut! Mein Vater war ein Tyrann, ein Sadist, und meine Mutter hatte sich ihm unterworfen. Seelenmörder waren sie. Alle beide!«
Jetzt verstand Dühnfort. Hass war ein ebenso starkes Gefühl wie Liebe, wenn nicht stärker. Lichtenberg hatte dem Wicht, der er selbst gewesen war, seine Schwäche nicht verziehen, hatte sich in seinem Selbsthass neu erschaffen müssen, um zu überleben. Doch nicht nur Bruno war schwach gewesen, sondern auch seine Mutter, die ihn hätte schützen sollen. »Haben Sie Fotografien Ihrer Eltern?«, fragte Dühnfort.
Als hätte er eine unverständliche Sprache gesprochen, starrte Lichtenberg ihn einen Moment lang an. Dann breitete sich ein Grinsen auf seinem Gesicht aus, das die Mundwinkel nach oben zerrte und den Augen einen diabolischen Glanz verlieh. »Welche Ähnlichkeit
haben Svenja und …«, Lichtenberg zog die Stirne kraus, »… Nadine, so hieß sie doch, mit meiner Mutter?« Feixend musterte er Dühnfort. »Lässt dieser durchgeknallte Künstler seinen unterdrückten Hass an unschuldigen Frauen aus, weil seine Mutter ihm leider zuvorgekommen ist und er sie nicht mehr abschlachten kann?« Lichtenberg ließ sich wieder auf das Sofa fallen und begann schallend zu lachen. »Das ist ja zum Brüllen komisch, wie im Vorabendkrimi«, stieß er hervor, während sein Körper von Lachsalven durchgeschüttelt wurde und
er sich Tränen der Heiterkeit aus den Augenwinkeln wischte.
***
Kurz vor elf Uhr nachts stand Dühnfort im Hof und beobachtete, wie Lichtenbergs Auto verladen wurde. Die Durchsuchung stand vor dem Abschluss und würde, so wie es aussah, ergebnislos verlaufen. Er fühlte sich müde und zerschlagen, war hungrig und durstig und vor allem frustriert. Alle Bemühungen führten ins Nichts. Er blickte zum Himmel. Eine sternenklare Sommernacht, der ein schöner Morgen folgen würde.
Manfred Enderle, dem die Schutzpolizisten unterstanden, kam auf Dühnfort zu. »Wir sind mit den Gebäuden fertig. Das Gelände werden wir uns morgen bei Tageslicht nochmals vornehmen. Für heute packen wir zusammen.«
»Zwei deiner Männer brauche ich noch. Wir werden Lichtenberg vorläufig festnehmen. Sie sollen ihn ins Präsidium bringen.«
»Kein Problem.« Enderle ging zu seinen Leuten.
Die Kollegen stiegen in die Busse. Türen wurden zugeschlagen, Motoren gestartet, Scheinwerfer flammten auf. Zwei Minuten später lag der Hof in tiefer Dämmerung, umfangen vom Schatten des angrenzenden Waldes und dem Rauschen der Bäume im Nachtwind. Nur das Abblendlicht des verbliebenen Streifenwagens erhellte die Nacht.
Gina kam aus einer der Scheunen zu ihm herüber. »Und?«, fragte sie. »Was machen wir nun?«
»Wir nehmen Lichtenberg mit. Sein Alibi ist nicht bestätigt, und die Spurenlage im BMW muss noch abgewartet werden.«
»Du denkst, er hat Jana irgendwo anders versteckt?«
»Vielleicht ist er im Präsidium gesprächsbereiter.« Dühnfort legte die Hand in den verspannten Nacken und drehte den Kopf. Ein Wirbel knackte.
Ein frecher Funke glomm in Ginas Augen. »Darf ich ihm die frohe Botschaft verkünden?«
Dühnfort nickte und folgte ihr ins Atelier, in dem Lichtenberg unter Alois’ Bewachung ausharrte.
Während Gina Lichtenberg vorläufig festnahm und über seine Rechte belehrte, trat Dühnfort vor eines der Schlachthausbilder. Blutrot war die vorherrschende Farbe. Ein kleiner Junge, blutbespritzt und nackt, stand in der Ecke eines gekachelten Raums, die Hände vors Gesicht geschlagen. Drei Schweine hingen an Ketten kopfüber von einem Metallgestell. Blut tropfte auf den Boden, auf Gedärme
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