So unwiderstehlich reizvoll
dachte schon, Sie hätten es sich wieder anders überlegt.“ Er drückte ihre ausgestreckte Hand, und Juliet glaubte, glühende Lava zu berühren.
Raphaels Augen wirkten ebenso dunkel und bedrohlich wie die Sturmwolken, die sich mittlerweile über Tregellin zusammenbrauten. Schon jetzt fühlte Juliet sich mit ihrer Rolle überfordert – bevor das Spiel überhaupt begonnen hatte.
Hastig zog sie die Hand zurück. Da trat auch schon Cary neben sie und legte ihr besitzergreifend den Arm um die Schultern. „Was erzählst du da für einen Unsinn? Wieso bist du überhaupt hier?“, herrschte er Raphael an. „Besitzt du denn überhaupt keinen Anstand? Du wusstest doch, dass wir kommen.“
Der rüde Ton schien Raphael nicht weiter zu beeindrucken. „Schön dich zu sehen, Cary“, begrüßte er seinen Cousin freundschaftlich.
Aber Cary reagierte nicht darauf und redete unbeirrt weiter. „Großmama hat mir berichtet, du hättest neuerdings keine Zeit mehr für sie, weil du dich ständig mit anderen Möchtegern-Künstlern herumtreibst. Doch kaum bin ich hier, wer steht da auf der Matte? Du natürlich!“
Mit einem amüsierten Lächeln betrachtete Raphael Juliet, die bei Carys Worten feuerrot geworden war. „An deiner Stelle würde ich die Aussagen der alten Dame nicht so ernst nehmen, Cary. Sie macht sich einen Spaß daraus, uns gegeneinander auszuspielen, und du fällst jedes Mal wieder darauf rein.“
„Ich weiß, ich weiß, keiner kennt Lady Elinor so gut wie du.“ Cary ließ wirklich keine Gelegenheit aus, um sein Gift zu verspritzen.
Aber Raphael blieb höflich und zuckte lediglich die Schultern. „Ich bin öfter mit ihr zusammen, das ist Tatsache“, erklärte er. „Ob ich sie deshalb auch besser kenne, wird sich noch zeigen.“
„Glaub bloß nicht, ich würde dein Spiel nicht durchschauen. Du bildest dir ein, im Vorteil zu sein, weil du hier lebst, während ich in London wohne.“ Demonstrativ zog Cary Juliet näher zu sich. „Wenn wir erst verheiratet sind, werden dir deine Felle endgültig davon schwimmen, verlass dich drauf.“
Vor Scham wäre Juliet am liebsten im Erdboden versunken. Carys Verlobte zu mimen, war unangenehm genug. Ihn reden zu hören, als stünde die Hochzeit unmittelbar bevor, war unerträglich.
Wie Raphael die peinliche Situation einschätzte, wusste sie nicht. Seinem amüsierten Lächeln nach zu urteilen, war er an Carys hochtrabendes Auftreten gewöhnt und nahm es mit Humor. Sie selbst dagegen wünschte sich ans andere Ende der Welt.
Glücklicherweise tauchte plötzlich ein kleiner Hund auf und gab dem Gespräch eine andere Richtung. Wie ein geölter Blitz schoss er auf Cary zu und packte ihn am Hosenbein.
„Dummer Köter!“ Roh trat Cary dem kleinen Tier in den Rücken, sodass es sich überschlug.
Sofort bückte Raphael sich, nahm Hitchins auf den Arm und streichelte ihn tröstend. „Er ist nicht dumm, sondern ausgesprochen klug“, bemerkte er.
Juliet blickte auf seine schlanken, feingliedrigen Hände und schluckte. Einfach lächerlich, wie konnte sie nur auf einen Hund eifersüchtig sein?
Nach der explosiven Stimmung während der Begrüßung durch Raphael verlief der Empfang bei Lady Elinor wohltuend friedlich. Sie war zwar merklich älter geworden, aber immer noch so autoritär, wie Juliet sie in Erinnerung hatte. Wenn man überhaupt von Familienähnlichkeit reden wollte, kam Raphael ihr mit seiner hohen, aufrechten Gestalt und den tadellosen Umgangsformen viel näher als Cary.
Natürlich musste Juliet Fragen zu ihrer gescheiterten Ehe über sich ergehen lassen. Lady Elinor konnte nicht verstehen, wie sich eine Frau bereits neun Monate nach der Scheidung erneut binden konnte.
Dafür hatte Cary die Erklärung sofort parat. „Juliet war jung und unerfahren und hat einfach den falschen Mann gewählt“, behauptete er. „David Hammond war nur an ihrem Geld interessiert.“ Juliet entging nicht, wie amüsiert Lady Elinor bei diesen Worten lächelte. Was für ein Glück, dass Raphael nicht anwesend war!
Nur zu gern nahm Juliet nach dem Essen den Vorschlag an, sich von Josie auf ihr Zimmer bringen zu lassen. Offenbar beabsichtigte Lady Elinor, mit Cary unter vier Augen zu reden. Hoffentlich machte er seiner Großmutter keine Versprechungen, die er ehrlicherweise nicht einhalten konnte.
Nachdem Juliet ihren Koffer ausgepackt hatte, sah sie sich um. Die Räumlichkeiten waren beeindruckend. Selbst ihr Elternhaus hatte nicht so herrschaftliche Ausmaße besessen. Die
Weitere Kostenlose Bücher