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So wahr uns Gott helfe

So wahr uns Gott helfe

Titel: So wahr uns Gott helfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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klarere Perspektiven hast.«
    »Bei Ihnen zu Hause?«
    »Ja, nur vorübergehend natürlich.«
    »Mit Ihnen?«
    Mir wurde mein Fehler bewusst.
    »Nein, nicht was du denkst, Patrick. Ich habe ein Haus, und du hättest ein eigenes Zimmer. Wobei es allerdings mittwochabends und jedes zweite Wochenende besser wäre, wenn du bei einem Freund oder in einem Motel schlafen könntest. Dann kommt nämlich meine Tochter zu mir.«
    Er dachte darüber nach und nickte.
    »Klar, das wäre nicht schlecht.«
    Ich bedeutete ihm, mir den Post-it-Zettel mit der Adresse des Insolvenzverwalters zurückzugeben. Ich schrieb meine Adresse darunter.
    »Hol doch einfach dein Board ab, und hinterher fährst du zu mir. Der Fareholm Drive zweigt direkt vom Laurel Canyon Boulevard ab, eine Straße vor dem Mount Olympus Drive. Auf der Veranda stehen ein paar Stühle und ein Tisch mit einem Aschenbecher drauf. Der Zweitschlüssel ist unter dem Aschenbecher. Das Gästezimmer ist neben der Küche. Fühl dich wie zu Hause.«
    »Danke.«
    Er nahm die Haftnotiz wieder an sich und studierte die Adresse, die ich darauf geschrieben hatte.
    »Ich komme wahrscheinlich erst ziemlich spät nach Hause«, erklärte ich ihm. »Nächste Woche beginnt ein wichtiger Prozess, und bis dahin habe ich noch einiges zu tun.«
    »Alles klar.«
    »Diese Regelung gilt nur für ein paar Wochen. Bis du wieder auf eigenen Beinen stehst. Bis dahin können wir uns gegenseitig helfen. Du weißt schon, wenn einer von uns rückfällig zu werden droht, ist vielleicht der andere da, um darüber zu reden. Alles klar?«
    »Alles klar.«
    Wir schwiegen eine Weile, und wahrscheinlich dachten wir beide über die Abmachung nach. Ich sagte Patrick nicht, dass er mir am Ende vielleicht mehr helfen würde als ich ihm. In den letzten achtundvierzig Stunden hatte mir der Druck meines neuen Arbeitspensums schwer zugesetzt. Ich spürte wieder diesen unwiderstehlichen Sog, begleitet von dem zunehmenden Verlangen nach der in Watte gepackten Welt, zu der mir die Pillen verhalfen. Die Medikamente ließen die harte Realität angenehm in die Ferne rücken. Ich begann mich nach dieser Distanz zu sehnen.
    Aber tief drinnen wusste ich, dass ich das um keinen Preis mehr wollte, und vielleicht konnte mir Patrick helfen, mich davon fernzuhalten.
    »Danke, Mr. Haller.«
    Ich löste mich aus meinen Gedanken und blickte zu ihm auf.
    »Nenn mich ruhig Mickey. Außerdem bin ich derjenige, der sich bedanken sollte.«
    »Warum tun Sie das alles für mich?«
    Ich spähte kurz zu dem großen Fisch an der Wand hinter ihm.
    »Das weiß ich selber nicht so genau, Patrick. Aber vielleicht hoffe ich, mir selbst zu helfen, indem ich dir helfe.«
    Patrick nickte, als verstünde er, was ich meinte. Das war eigenartig, weil es mir selbst nicht mal richtig klar war.
    »Jetzt fahr mal dein Board holen, Patrick«, sagte ich. »Wir sehen uns dann später bei mir. Und vergiss nicht, deine Mutter anzurufen.«
DREISSIG
    A ls ich endlich allein im Büro war, begann ich mit meinem üblichen Ritual. Ich holte zwei neue Blöcke und vier Black-Warrior-Bleistifte aus dem Vorratsschrank. Ich spitzte sie und machte mich an die Arbeit.
    Vincent hatte den Elliot-Fall auf zwei Ordner aufgeteilt. Der dicke Ordner enthielt die Unterlagen der Anklage, der dünnere die der Verteidigung. Der geringe Umfang der Verteidigungsakte bereitete mir kein Kopfzerbrechen. Ein Anwalt musste sich an dieselben Offenlegungsregeln halten wie die Anklage. Alles, was in den zweiten Ordner kam, ging an den Staatsanwalt. Deshalb sorgte ein erfahrener Strafverteidiger stets dafür, dass dieser Ordner möglichst dünn blieb. Alles andere speicherte er in seinem Kopf oder, wenn es dort sicher war, auf der Festplatte seines Computers. Leider konnte ich weder in Vincents Kopf nachsehen noch in seinem Laptop. Trotzdem war ich mir sicher, dass sich Jerry Vincents Geheimnisse auch irgendwo in dieser Akte verbargen. Die Wunderwaffe war irgendwo da drinnen versteckt. Ich musste sie nur aufspüren.
    Ich begann mit dem dickeren Ordner, der Akte der Anklage. Ich las sie von vorn bis hinten durch, Seite für Seite, Wort für Wort. Auf einem der beiden Blöcke machte ich mir Notizen, auf dem anderen erstellte ich ein Zeitdiagramm, in das ich sämtliche Ereignisse eintrug. Mit einem Vergrößerungsglas, das ich in einer Schreibtischschublade gefunden hatte, studierte ich die Tatortfotos. Außerdem stellte ich eine Liste aller Namen zusammen, auf die ich in der Akte stieß.
    Danach

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