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So weit der Wind uns trägt

So weit der Wind uns trägt

Titel: So weit der Wind uns trägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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in ihr hauchzartes Nachthemd, kämmte sich das Haar, setzte sich aufs Bett und öffnete die Schublade. Sie hob die Bibel an, die darin lag. Darunter bewahrte sie das Foto auf. Kein besonders gutes Versteck – aber es kam ja normalerweise niemand in ihr Zimmer und machte sich an der Nachttischschublade zu schaffen. Neulich, als Paulinho das Foto hervorgezogen hatte, war ihr der Schreck derartig in alle Glieder gefahren, dass sie das Bild beinahe vernichtet hätte. Zum Glück hatte sie es nicht getan. Es war das einzige Andenken an Fernando, mit dem sie sich über die Stunden oder Tage hinwegtrösten konnte, in denen sie nicht beisammen waren.
    Doch an seinem gewohnten Platz lag das Foto nicht. Sie hob die Bibel hervor. Dann zog sie die gesamte Schublade heraus und durchwühlte sie ungläubig.
    Das Foto war verschwunden.

21
    A m 24 . Oktober 1929 , der als Schwarzer Donnerstag in die Geschichte einging, löste ein Börsencrash in New York eine Welle von Selbstmorden aus, wie man sie nie zuvor erlebt hatte. Am darauf folgenden Tag, dem so genannten Schwarzen Freitag, erreichte die Nachricht von den Tumulten auf der Wallstreet auch Europa – wo sie allerdings zunächst keine ähnlich gearteten Panikverkäufe auslöste. In Portugal wurden die Berichte über die internationale Wirtschaft kaum eine Woche später von den Titelseiten verdrängt: Der einstige Präsident der Republik, António José de Almeida, war gestorben.
    Doch erst ein Unglück, das sich wiederum eine Woche später ereignete, beschäftigte Fernando wirklich. Am 6 . November 1929 explodierte eine deutsche Junkers G 24 über Surrey in England, sechs Menschen starben dabei. Fernando tat es vor allem um das Flugzeug leid. Schöner Vogel, den hätte er auch gerne mal geflogen. Aber nichts im Vergleich zu der aufsehenerregenden Junkers G 38  – damit, so hörte man, hatten die deutschen Ingenieure sich selbst übertroffen. Der Erstflug dieses dreieckigen Flugzeugs, das fast nur aus Tragflächen bestand, in denen auch die Passagiere untergebracht wurden, stand kurz bevor. Fernando war gespannt, ob das Gerät sich bewähren würde.
    Noch gespannter war er allerdings auf sein viertes Kind. Nach drei Töchtern wünschte er sich nun inständig einen Jungen. Elisabete hatte ihm versichert, dass es klappen würde. Sie hatte doch allen Ernstes mit einer Freundin, die in derartigen Angelegenheiten erfahrener war als sie, ein Pendel frequentiert, und dessen Aussage war unmissverständlich gewesen.
    Die Zuwendung Elisabetes zu übersinnlichen Phänomenen entfremdete sie Fernando noch mehr. Er hatte eine kluge, vernünftige, bodenständige Frau geheiratet – und hatte nun eine Ehegattin, die sich mit Astrologie und ähnlichem Firlefanz beschäftigte, der ihm zutiefst zuwider war.
    All seine Charaktereigenschaften führte sie darauf zurück, dass er Steinbock mit Aszendent Löwe war. Er dagegen erklärte sie sich damit, dass er im Herzen weiterhin ein Alentejano war. Der trockene Boden seiner alten Heimat hatte ihn mehr geformt als die Sternenkonstellation am Tag seiner Geburt, die harte körperliche Arbeit in seiner Jugend ihn stärker beeinflusst als die Mondphasen. Einzig die Sonne, da mochte Elisabete recht haben, war entscheidend für seinen Lebensweg und für die Ausprägung seines Wesens gewesen: Nie würde er vergessen, wie er unter der unerbittlichen Septembersonne bei der Weinlese geschwitzt und wie ihm der Korb auf dem Rücken das Hemd durchgescheuert hatte. Genauso wenig würde er je seinen ersten Alleinflug vergessen, den magischen Moment, als der Doppeldecker die Wolkendecke durchbrach und die Strahlen der Morgensonne auf sein Gesicht fielen.
     
    Elisabete hatte zwar nie sehr viel übriggehabt für die angeblichen Freuden des Ehelebens, doch dass ihr Mann nun so wenig Interesse für sie zeigte, kränkte sie zutiefst. Musste sie auch jedes Mal schwanger werden? Sie brauchte nur an sich herabzusehen, auf den vorgewölbten Bauch und die geschwollenen Füße, um sich einzugestehen, dass sie in der Tat nicht sehr verführerisch aussah. Auf andere Menschen musste es den Eindruck machen, als verbrächten sie und Fernando ihre ganze gemeinsame Zeit zusammen im Bett – ihre Schwester machte schon geringschätzige Bemerkungen über ihre Fruchtbarkeit. Das vierte Kind in fünf Jahren, das war ja beinahe unanständig. Fast wie bei armen Leuten.
    Die Schwangerschaften hatten Elisabetes Aussehen nicht so geschadet, dass es fremden Leuten aufgefallen wäre. Ihr

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