So weit der Wind uns trägt
waren insgesamt drei Zähne ausgefallen, an deren Stelle sie nun ein Teilgebiss trug. Wenn man es nicht wusste, sah man es kaum. Auch die anderen Veränderungen waren so geartet, dass sie außer Fernando niemand zu Gesicht bekam – aber das reichte ja. Ihre Brüste waren schlaff, wenn sie nicht gerade mit Milch gefüllt waren, und ihr Bauch mit unschönen Streifen versehen und faltig, wenn er nicht gerade mit einem Kind gefüllt war.
Doch wenn sie schon nicht mehr die jugendliche, strahlende Erscheinung von vor wenigen Jahren war, dann hätte sie sich wenigstens gewünscht, dass der Mann, der diesen rapiden Verfall ihrer Schönheit verschuldet hatte, sich mit ihr über die Kinder freute. Dass er sie während der Schwangerschaft verwöhnte, dass er an ihrem Bauch auf das Leben darin horchte, dass er ihr die Beine massierte oder sonst irgendwie zu erkennen gab, dass er sie noch liebte. Aber anders als bei ihren ersten beiden Schwangerschaften geschah jetzt nichts dergleichen. Vielleicht war es die Routine, tröstete Elisabete sich. Sie selber war ja auch nicht mehr so aufgeregt wie beim ersten Kind.
Wann, fragte sie sich, hatte sich dieser Wandel in Fernando vollzogen? Wann war aus dem zuvorkommenden, liebenswürdigen Mann dieser wortkarge Fremde geworden? Wann war aus dem zartfühlenden Liebhaber, der er zu Beginn ihrer Ehe gewesen war, dieses Tier geworden, das sich rücksichtslos auf sie warf und wütend einen Akt vollzog, der mit Liebe nicht im mindesten verwandt war – und das auch nur noch sporadisch? Wann hatte er aufgehört, ihr Komplimente zu machen, ihr kleine Geschenke mitzubringen, unter dem Tisch nach ihrer Hand zu greifen und ihr Dinge ins Ohr zu flüstern, von denen sie rot wurde? Es war schon lange her. Der allmähliche Schwund an Aufmerksamkeiten und Zärtlichkeiten musste bereits kurz nach der Hochzeit angefangen haben, erkannte sie jetzt mit Schrecken. Und sie hatte es nicht rechtzeitig bemerkt. Vor lauter Kinderkriegen, dachte Elisabete bitter, musste sie die kleinen Anzeichen übersehen haben, an denen sie den Verlust seiner Liebe erkannt hätte. Vielleicht hätte sie ihn, wenn sie frühzeitig reagiert hätte, halten können. Jetzt war es dafür zu spät. Sein Herz schlug für eine andere – wer auch immer sie sein mochte. Nur Verantwortungsgefühl hielt ihn noch bei ihr und den Kindern.
Nun ja, war das etwa nichts? Wenn sie Fernando schon als Frau nicht beglücken konnte, dann würde sie zumindest als Ehegattin und Mutter seiner Kinder ihre Rolle meisterlich spielen. Sie würde ihm keinen Grund liefern, sich noch weiter von der Familie zu distanzieren. Sie würde ihn nicht mit Gezeter oder Genörgel weiter in die Arme der anderen treiben. Sie würde ihm nie anders als freundlich und gelassen gegenübertreten, auch wenn es in ihrem Innern ganz anders aussah. Sie würde dafür sorgen, dass er ein gemütliches, warmes Zuhause hatte, wohlgeratene Kinder und eine Frau, die, wenn schon nicht Geliebte, so doch wenigstens eine gute Freundin war. Irgendwann würden die Reize der anderen vergehen, würde ihre Sinnlichkeit sich abnutzen – während Elisabetes Tugenden als gute Zuhörerin, kluge Vertraute und uneigennützige Ratgeberin mit den Jahren an Wert gewännen. Ja, so würde sie es machen. Sie legte beide Hände auf ihren Bauch. Eines fernen Tages würde Fernando sich ihr wieder nähern. Bis dahin hatte sie ja ihre Kinder.
Die drei kleinen Mädchen spielten mit ihrem Großvater Hoppereiter. Sie kreischten vor Vergnügen, wenn er sie von seinen Knien hintenüberfallen ließ und im letzten Moment auffing. Sie kamen immer der Reihe nach dran, Isabel, Sofia und Ana, und sie wurden es auch nach dem zwanzigsten Durchgang nicht leid. Elisabetes Vater war ebenso unermüdlich. Er liebte seine Enkeltöchter abgöttisch, und er schien wild entschlossen, jede Sekunde mit ihnen auszukosten. Er wusste aus eigener Erfahrung, wie schnell die Kinder für solche Spiele zu groß wurden. Jetzt, mit fünf, vier und zwei Jahren, waren sie noch so süß – diese Zeit würde er voll auskosten.
Und wenn er fällt, dann schreit er.
Fernando hörte das Geschrei von nebenan. Anfangs hatte er darüber gelächelt, wie die Mädchen ihren Großvater immer um den Finger wickeln konnten und wie er jeden Unsinn klaglos mitmachte, den sie von ihm verlangten. Aber jetzt hörte er den albernen Refrain schon zum fünfzigsten Mal – es reichte.
»So Kinder, Schluss jetzt. Euer Opa hat bestimmt schon aufgescheuerte
Weitere Kostenlose Bücher