So weit der Wind uns trägt
repräsentative Pflichten zu übernehmen – höchstens einmal im Monat stand eine Soirée einer der verschiedenen Gesellschaften an, für deren karitative Ziele sie oder Rui Geld spendeten.
Ihr kleiner Haushalt verlangte ihr ebenfalls nicht sehr viel Zeit ab. Während ihre Mutter von Mann und fünf Töchtern sowie einer großen Dienerschaft den ganzen Tag auf Trab gehalten worden war, hatte Jujú mit Paulinho und ihren drei Angestellten sehr wenig Arbeit. Die Köchin war eine ältere Person, die selbständig arbeitete und mit der Jujú nur einmal in der Woche den Speiseplan durchging. Den Rest besorgte die Frau allein, gut und zuverlässig. Das Kindermädchen, Aninha, war seit Paulinhos Geburt in ihren Diensten. Sie war fast schon zu einem Teil der Familie geworden, denn Paulinho hing mehr an ihr als an seiner Mutter. Und dann hatten sie noch das neue Stubenmädchen, Luiza, das ihr um mehrere Ecken empfohlen worden war. Eine gute Empfehlung, fand Jujú. Luiza erwies sich als tüchtig. Die derben, bauernschlauen Bemerkungen, die das Mädchen manchmal von sich gab, waren zwar in Paulinhos Gegenwart nicht ganz angemessen, aber nun gut, was sollte man anderes von jemandem mit einer so proletarischen Herkunft erwarten. Immerhin zerbrach sie nicht ständig wertvolle Kristallgläser, im Gegensatz zu ihrer Vorgängerin.
Jujú befand sich also in der beneidenswerten Lage, über ausreichend Geld und Zeit zu verfügen, ihre Tage mit lauter angenehmen Beschäftigungen zu füllen. Dennoch hatte sie selber den Eindruck, viel zu viel um die Ohren zu haben, als dass sie jeden Tag ins Museum oder ins Kino hätte gehen können. Man brauchte sich nur den heutigen Tag anzusehen: Morgens rechtzeitig zum Frühstück mit Paulinho aufstehen; danach Zeitungslektüre, gefolgt von ausgiebiger Körperpflege; im Laufe des Vormittags zur Bank, um den Dienstboten ihre Löhne auszahlen zu können, anschließend kurz zur Schneiderin, zur Anprobe eines neuen Abendkleides, das sie nächste Woche bei einem Wohltätigkeitsball tragen wollte; mittags die Verabredung mit Isabel; nach ihrer Siesta das Einstellungsgespräch mit einem Chauffeur – Jujú wollte sich ein Auto zulegen, aber in der Stadt nicht selber fahren; dann die nachmittägliche Stunde, in der sie, wie jeden Tag, die Hausaufgaben mit Paulinho durchging und mit ihm spielte oder musizierte; am frühen Abend ein Bummel durch den Chiado, der nicht müßig, sondern anstrengend zu werden versprach – sie musste ein Geburtstagsgeschenk für Mariana sowie ein Mitbringsel für Senhor Teobaldo besorgen, bei dem sie morgen zum Tee eingeladen war und der ihr seinerseits bei seinen Besuchen immer eine Kleinigkeit mitbrachte. Bis sie nach Hause käme, wäre es mindestens acht Uhr. Um neun wurde das Abendessen serviert, und erst gegen zehn Uhr, wenn Paulinho im Bett lag und die Angestellten Feierabend hatten, hätte Jujú endlich einmal Zeit für sich.
Ein gutes Buch, eine schöne Schallplatte, das Schreiben eines persönlichen Briefes – dafür war nur abends Zeit. Oder besser: Zeit gewesen. Seit sie sich regelmäßig mit Fernando traf, gab es keinen Eintrag mehr in ihrem Tagebuch. Die Notizen hörten genau am Tag vor ihrer Abreise nach Cannes auf, und die lag nun bereits fast ein halbes Jahr zurück. Auf der Schallplatte, die auf dem Teller des Grammofons lag, hatte sich schon Staub gesammelt – wofür sie bei nächster Gelegenheit einmal Luiza zur Rede stellen musste –, und den längst überfälligen Brief an ihre Eltern schob Jujú nun ebenfalls schon seit Wochen vor sich her.
Aber wie nebensächlich das alles jetzt war! Seit Jujú sich wieder von Fernando geliebt wusste und seit sie ihre anfänglichen Hemmungen und moralischen Bedenken über Bord geworfen hatten, um sich so oft wie möglich nahe zu sein, fühlte sie sich frei und leicht wie als junges Mädchen. Was war »Ehebruch« nur für ein grässliches Wort? Es hörte sich nach Sünde und Scham an, nach sonst nichts. Weder klang darin die Echtheit ihrer Gefühle an, noch ließ es die Größe und Lebendigkeit ihrer Leidenschaft durchschimmern. Jujú war froh, dass sie und Fernando zu Ehebrechern geworden waren – nicht eine Sekunde ihrer Begegnungen wollte sie missen.
Einzig die Heimlichtuerei bedrückte sie. Ihr Sohn sollte nichts davon mitbekommen, dass sie einen anderen Mann als seinen Vater traf, und die Dienstboten sowie die Nachbarn möglichst auch nicht. Aber es ließ sich nun einmal nicht gänzlich vermeiden. Die
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