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So weit der Wind uns trägt

So weit der Wind uns trägt

Titel: So weit der Wind uns trägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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wandte sich nicht mehr zu Jujú um, auch dann nicht, als sie ihm nachrief: »Morgen Abend, am Erdbeerbaum?«
    Die Glocken schlugen zwölf.
     
    Als Fernando zu Hause eintraf, saßen seine Eltern und seine jüngeren Geschwister bereits am Tisch. Schweigend löffelten sie ihre
migas
, die Brotsuppe, die in letzter Zeit fast ausschließlich auf dem Speisezettel stand. Seine Mutter bereitete sie immer auf andere Weise zu, mal mit Knoblauch, mal mit Disteln, doch auch das konnte nicht über die Dürftigkeit der Mahlzeit hinwegtäuschen. Fernando konnte sich kaum erinnern, wann es bei ihnen zum letzten Mal Schweinefleisch gegeben hatte. Er ließ sich auf seinen Holzstuhl fallen und goss sich aus dem Tonkrug einen Becher Wein ein. Die anderen würdigten ihn kaum eines Blickes.
    Sein Vater löffelte mit mürrischem Gesicht seine Suppe, die kräftigen und stark behaarten Unterarme auf den Tisch gestützt. Er schlürfte dabei laut. Sein Kopf befand sich unmittelbar über dem Teller. Fernandos Mutter war aufgestanden, um eine weitere Portion aufzufüllen. Sie stellte den Teller vor ihrem zweitältesten Sohn ab. Fernando sah nicht auf. Sein Blick war auf ihre Hände gerichtet – starke, fleißige, geschickte Hände, Hände, mit denen Gertrudes Abrantes tagaus, tagein Wäsche wusch, den Boden scheuerte, die Hühner in ihrem Hinterhof fütterte oder sie, wenn an besonderen Tagen eines geschlachtet wurde, rupfte. Hände, mit denen sie früher die Köpfe ihrer Kinder gestreichelt hatte, als diese sich noch nicht zu alt für derlei Zärtlichkeiten gefühlt hatten, und Hände, mit denen sie die Schläge ihres Mannes abgewehrt hatte. Seit Fernando seinem Vater über den Kopf gewachsen war und die Mutter verteidigte, wagte João Abrantes es nicht mehr, seine Wut an seiner Frau auszulassen. Jedenfalls nicht in Gegenwart Fernandos.
    Noch immer starrte Fernando auf die Hände seiner Mutter, die inzwischen wieder auf ihrem Platz saß, einen Laib Brot an ihren ausladenden Busen drückte und davon eine Scheibe abschnitt. Das Brot bestand mehr aus Schrot als aus feinem Weizenmehl – und das, dachte Fernando, hier in der Kornkammer Portugals. Es war genauso zäh und hart wie die Hände seiner Mutter, an denen das Leben verheerende Spuren hinterlassen hatte. Die Haut war spröde und rot, die Nägel waren rissig. Er dachte an Jujús zierliche, weiße Händchen, an die elegant manikürten Nägel, und mit einem kaum wahrnehmbaren, tonlosen Seufzer wandte er den Blick von seiner Mutter ab. Er würde Jujú nie heiraten können, solange er ihr nichts Besseres zu bieten hatte als eine Zukunft, in der sie solche Hände bekommen würde – Hände, an denen all die Entbehrungen und die ganze Hoffnungslosigkeit der kleinen Bauern abzulesen waren.
    »Du bist spät. Hast du dich wieder mit diesem Mädchen rumgetrieben?«, murmelte sein Vater mit vollem Mund.
    Fernando antwortete nicht. Er war achtzehn Jahre alt und seinen Eltern keine Rechenschaft schuldig über jeden der Schritte, die er unternahm. Er war der tüchtigste Arbeiter im Haus, der jeden schwer verdienten Réis daheim ablieferte, damit sein Vater ihn in der Schenke lassen konnte. Er hätte längst sein Recht auf größere Essensportionen einfordern können, oder er hätte fortgehen sollen, um im Norden oder sogar in Lissabon sein Glück zu versuchen. Aber wie konnte er? Die Familie würde hungern, seine Mutter würde halbtot geschlagen werden, und er selber würde ohne Jujú ohnehin kein lebenswertes Leben führen.
    »Antworte mir gefälligst!« Endlich sah João Abrantes von seinem Teller auf. Was er sah, gefiel ihm nicht. Sein Sohn – wenn es denn seiner war – stierte ihn aus seinen teuflisch grünen Augen an und wirkte wie einer, der sich zu fein für dieses Haus geworden war. Die Mädchen im Dorf waren verrückt nach Fernando, weiß der Himmel, wieso. Jedenfalls hatten ihm schon zwei seiner Freunde, der Schuster Joaquim Tavares und der Korbflechter José Ferreira, beide Väter heiratsfähiger junger Mädchen, entsprechende Andeutungen gemacht. Und nicht genug damit, dass Fernando bei den Weibern einen Stein im Brett hatte, nein, er musste auch noch so ein Klugscheißer sein, der seinen Vater andauernd belehrte.
    Fernando ließ sich schließlich zu der Andeutung eines bejahenden Nickens herab.
    »Das ist nicht gut, Junge. Für dieses reiche Mädchen bist du nur ein Abenteuer, ein lustiger Zeitvertreib. Wahrscheinlich gibt sie bei ihren Schwestern und ihren Freundinnen damit an, dass

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