So weit der Wind uns trägt
angenehmen Empfindungen hingeben. Sie wollte die Frühjahrssonne, die durch die silbrig schimmernden Blätter des Olivenbaums auf ihr Gesicht fielen, warm auf ihrer Haut spüren, wollte dem Gesang der Vögel lauschen, den Duft der aufblühenden Natur in sich aufnehmen und bei alldem die Zärtlichkeiten, mit denen Fernando sie bedachte, genießen. Sie schloss die Augen erneut.
Zuerst spürte sie seinen heißen Atem an ihrem Hals, dann seine Lippen. Als er zart an ihrem Ohrläppchen knabberte, bekam sie eine Gänsehaut. Er kannte ihre Schwächen und Vorlieben genau, wusste, wo und wie er sie berühren musste, damit sie vor Verlangen aufseufzte. Fernandos Hand, die er um ihre Taille gelegt hatte, wanderte vorsichtig nach oben. Jujú ließ ihn gewähren. Es war nicht das erste Mal, dass er ihre Brüste streichelte, und wäre sicher nicht das letzte Mal. Doch sosehr sie seine Liebkosungen genoss: Weiter würde sie ihn nicht gehen lassen. Auf keinen Fall wollte sie das Schicksal Luizas teilen. Ihre frühere Freundin war nach einem Techtelmechtel mit einem benachbarten Gutsbesitzersohn schwanger geworden. Vor kurzem hatte sie ihn geheiratet, nachdem sie, gerade 16 -jährig, den Segen der Eltern, der Behörden und der Kirche für diese Ehe erhalten hatte. Luiza hatte bei der Hochzeit rotverweinte Augen und einen sichtbar gewölbten Bauch. Ihr Bräutigam, selber erst 19 Jahre alt, blickte wütend und trotzig drein.
»Fernando, nicht.« Fernandos Hand war unter ihren Rock geglitten und bewegte sich langsam von der Wade hinauf zu ihren Oberschenkeln.
»Ja, ich weiß.« Widerstrebend ließ Fernando von Jujú ab. Er wusste, dass sie recht hatte, und er war dankbar, dass immerhin einer von ihnen beiden über genügend Willenskraft verfügte, ihrer Begierde einen Riegel vorzuschieben. Aber Himmel, er würde das nicht mehr lange aushalten. Jujús milchweiße Haut, ihre runden, nicht allzu üppigen Brüste und ihre samtige Stimme erregten ihn aufs Äußerste.
Er ließ sich enttäuscht auf den Rücken rollen und verschränkte ebenfalls seine Arme unter dem Kopf. Er war 18 Jahre alt, es wurde höchste Zeit, dass er endlich zum Mann wurde. Und diese Erfahrung, so hatte er sich bereits vor zwei Jahren vorgenommen, als Jujú aufhörte, nur eine kleine Freundin für ihn zu sein, wollte er mit keiner anderen als ihr teilen. Damals, nachdem seine Stimme tief geworden war und sein Barthaar zu sprießen begonnen hatte, nachdem er in die Höhe geschossen und sein Körper ihm fremd geworden war, hatte er Jujú plötzlich in einem ganz anderen Licht gesehen. Und ihr war es umgekehrt auch so ergangen. Sie, die zur ungefähr gleichen Zeit wie er eine körperliche Veränderung erlebt hatte, mit der ihr Denken und Fühlen noch nicht Schritt halten konnte, war ihm gegenüber zurückhaltender geworden. In ihre Freundschaft, die immer durch Komplizentum gekennzeichnet gewesen war, hatten sich Schamhaftigkeit und Distanziertheit eingeschlichen. Bei ihren gemeinsamen Ritten auf dem Maultier hatten sie sich unbehaglich gefühlt – bis sie ganz darauf verzichteten. Das Baden im Stausee war mit einem Mal kein großer Spaß mehr, sondern eine äußerst beunruhigende Angelegenheit gewesen. Jujú hatte schließlich als Erste zugegeben: »Fernando, ich geniere mich zu Tode. Lass uns etwas anderes unternehmen.«
Doch bei den anderen Treffen war es kaum besser gewesen. Wenn er sie auf bestimmte Stellen in den Büchern hinwies, die sie ihm heimlich lieh, wurden sie sich ihrer Nähe schmerzhaft bewusst. Wenn sie nebeneinander herliefen und er wie zufällig ihren Arm streifte, zuckten sie beide zurück. Wenn sie einander dabei erwischten, wie sie den anderen aus den Augenwinkeln taxierten, schlugen sie die Blicke beschämt nieder. Und an manchen Sonntagen, wenn der Patrão und seine Familie die Dorfkirche mit ihrer Präsenz beehrten – meist blieben sie in der heimischen Kapelle, wo Padre Alberto eine Andacht für sie abhielt – und Fernando und Jujú dort einander entdeckten, konnte selbst die wortgewaltigste Predigt sie nicht in ihren Bann ziehen.
Fernando erinnerte sich nicht mehr genau, wann und wie sie schließlich zueinander fanden. Merkwürdig, dass er eine so entscheidende Wendung in seinem Leben nicht bewusst wahrgenommen haben sollte. War es während des Karnevals im vergangenen Jahr passiert, als die gesamte Familie Carvalho in Beja erschienen war, um sich den Umzug anzusehen, und Jujú einmal mehr die Gelegenheit ergriffen hatte, sich
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