So weit der Wind uns trägt
Unglück nahte. Die Zeichen waren nicht zu übersehen: Erst das Ausbleiben des Storchenpaares, das immer auf der Kirchturmspitze genistet hatte, dann das unheimliche Himmelsspektakel im Mai 1910 , als ein Komet die Erde passierte. Ein drittes, ähnlich besorgniserregendes Ereignis dieser Art, und etwas Furchtbares würde passieren.
Fernando belächelte den Aberglauben seiner Mutter. Ihm selber schien das Schicksal durchaus gewogen – obwohl er dies weniger einer himmlischen Fügung als vielmehr seinem eigenen Ehrgeiz, Fleiß und Können zuschrieb. In den vergangenen beiden Jahren hatte er alles darangesetzt, sich auf dem Latifundium des José Carvalho unentbehrlich zu machen. Es gab kein Gerät, das er nicht reparieren konnte, keine Maschine, deren Funktionsweise er nicht kannte, keinen Motor, den er nicht genauestens untersucht hätte. Die Lektüre all der Bücher, die ihm Jujú über die Jahre mitgebracht und die er nachts bei Kerzenlicht gelesen hatte, wenn Sebastião längst schlief, trug nun Früchte. Weil er sich die Bücher nicht selber hatte aussuchen können und weil Jujú nicht viel von Technik verstand, hatte Fernando auch die abwegigsten Werke, die sie ihm manchmal gab, verschlungen – mit dem Ergebnis, dass er auf keinem speziellen Gebiet ein wirklicher Experte war, dafür aber umfangreiche Kenntnisse in den verschiedensten Bereichen besaß. In Lissabon hätte er mit seinem Wissen Furore gemacht, hätte Gleichgesinnte treffen und mit ihnen über Brückenkonstruktionen, Telefone, Lokomotiven, Aerodynamik, Dieselmotoren, Radioaktivität, Statik, Funkwellen oder die Errichtung von Staudämmen fachsimpeln können. Hier, in Milagres, galt er bloß als Verrückter.
Immerhin erkannte man, dass Fernandos naturwissenschaftliches Genie sowie sein technisches Verständnis durchaus hilfreich sein konnten und dass seine Verrücktheit nicht auf einem Mangel an Intelligenz, sondern auf einem Überschuss derselben beruhte. Viele nannten ihn daher – halb spöttisch, halb respektvoll – »
engenheiro
«, Ingenieur. Nicht, dass er allzu viele Gelegenheiten gehabt hätte, seine Begabung unter Beweis zu stellen. Weit und breit war noch nicht ein einziges Telefon in Betrieb. Es gab immerhin eine Eisenbahnlinie, und es gab in den Dörfern rund um Beja ein einziges Automobil, nämlich das des Patrão, das immer, wenn es über die ungepflasterten Wege rumpelte, einen kleinen Volksaufstand verursachte – und dabei wussten die Leute nicht einmal, dass es sich um einen veritablen »Silver Ghost« handelte. Nur auf dem
monte
, dem Gutshof der Carvalhos, umgab man sich mit allerlei technischen Errungenschaften, die aus England oder Frankreich importiert wurden. Wusste man mit einem der Geräte nicht weiter, rief man Fernando. Bezahlt wurde er für diesen Zusatzdienst selbstverständlich nicht – es hatte ihm eine Ehre zu sein, die kostbaren Spielzeuge des Patrão instand zu halten.
Wäre Fernando nicht als Sohn eines Tagelöhners geboren worden, wäre er nicht so erpicht darauf gewesen, in der Nähe von Juliana Carvalho zu bleiben, und hätte er es nicht als seine Pflicht angesehen, der Mutter schützend zur Seite zu stehen, so hätte sich ihm sicher bereits eine Chance geboten, sein Wissen gewinnbringender zu nutzen. Doch hier im sanfthügeligen Süden Portugals, weitgehend abgeschnitten von fortschrittlichem Gedankengut und den Segnungen der modernen Technik, sah Fernando, der alles andere als ein Phantast war, nur eine Lösung. Er musste gute Miene zum bösen Spiel machen und alle Gelegenheiten nutzen, zum
monte
zu gehen und seine technischen Fertigkeiten zu verbessern – und dabei vielleicht einen Blick auf Jujú zu erhaschen. Vor allem aber musste er mit jenen Fertigkeiten brillieren, die auf dem Land von vorderstem Interesse waren. Er musste der fähigste Landarbeiter werden, den es je gegeben hatte. Er verbot sich jegliche Träumerei von einem anderen, weniger eingeengten Leben und zwang sich dazu, auf dem Boden der Tatsachen zu bleiben – denn dieser Boden war fruchtbar und ertragreich und brauchte Männer wie ihn.
Fernandos eiserne Disziplin zahlte sich aus. Es gab keine Tätigkeit auf den Feldern, in der er nicht der Schnellste und Produktivste gewesen wäre. Trotz seiner Jugend gehörte er bereits zu den besten Korkeichenschälern des Baixo Alentejo, und er hatte nicht vor, sich auf seinen Lorbeeren auszuruhen. Er wollte vierzig Bäume am Tag schaffen, genau wie der alte Luís, dessen Geschwindigkeit
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